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"... in diesen Corona-Zeiten ist es nicht einfach eine Combo am Leben zu erhalten. Wir haben 63 Shows, die wir nachholen müssen..."
Der Thrash wird von der Bay Area beherrscht. Der komplette Thrash? Nein! Eine von unbeugsamen, musizierenden Dänen bevölkerte Band hört nicht auf, dem Amis Widerstand zu leisten. Aber das Leben ist nicht leicht für die europäischen Widerstandskämpfer, denn es scheint auch nach fast 40 Jahren, dass das Dasein von Artillery kaum bei der grossen Masse für Aufsehen sorgt. Nach zwei Trennungen und Wiedervereinigungen, sowie neun Studioalben steht nun der neuste Meisterstreich «X» in den Startlöchern, um der Pizzascheibe erneut zu zeigen, dass ihnen bald der Himmel auf den Kopf fallen wird, sollten sie nicht «X» im Plattenladen ihres Vertrauens kaufen. Michael Stützer, seines Zeichens Gründer und Gitarrist von Artillery entpuppte sich als dankbarer Interviewpartner. Einer, der noch immer glücklich ist, dass er musizieren kann und heute mehr denn je die Freundschaft in der Band zu schätzen und zu pflegen weiss. Zusammen mit Sänger Michael Bastholm Dahl, Bassist Peter Thorslund, Schlagzeuger Josua Madsen und Neugitarrist Kraen Meier hat Michael ein Werk veröffentlicht, das sich in der Szene hinter keinem Klassiker verstecken muss. Im Gegenteil, wetzt die Hinkelsteine und lasst den Zaubertrank, Zaubertrank sein, denn diesen brauchen Artillery nicht um sich in voller Stärke zu zeigen!
MF: Michael, herzliche Gratulation zum neuen Meisterwerk…
Michael: …danke dir Martin! Es ist unser zehntes Album (lacht), und ich bin sehr stolz auf das Endresultat. Ich denke, «X» ist aggressiver als sein Vorgänger «The Face Of Fear». Dabei ist uns das Schreiben der Songs überhaupt nicht einfacher gefallen. Kraen komponierte einiges, und Peter war auch für einen Track verantwortlich. Im Moment gefällt mir unser Video-Song «Turn Up The Rage» am besten, aber das kann sich täglich ändern (grinst).
MF: Richtig geil ist der Opener «The Devil's Symphony» geworden. Speziell mit diesem japanisch angehauchten Intro. Wer hatte die Idee dazu?
Michael (lachend): Das war ich! Jeder von uns bringt seinen speziellen Part ein. Ich mag es mit anders klingenden Momenten unsere Lieder zu ergänzen. Auch die arabischen Klänge in «Khomeniac» stammen von mir. Damals waren wir in Russland unterwegs, reisten in einem Zug und liessen über 3'000 Kilometer hinter uns. Dabei hörten wir viele unterschiedliche Musik. So entstand auch die Idee für diesen Part bei «Khomeniac». Seit diesem Moment versuchen wir immer wieder solche Elemente einzubauen.
MF: «The Ghost In Me» ist ein weiterer unglaublich toller Song. Du magst diese Verbindung aus akustischen und harten Teilen?
Michael: Ja, ich liebe es sehr, die Lieder abwechslungsreich zu gestalten. Wenn man viele harte und sehr aggressive Tracks auf einem Album hat, sind solche akustischen Parts sehr wichtig, damit die Scheibe nicht langweilig wird. Ausserdem macht es unglaublichen Spass bei solchen Teilen, Solos zu spielen. Ich bin sehr stolz auf diesen Song. Das Lied handelt davon, wenn man seinen eigenen Körper verlassen würde und sich alles von aussen betrachtet. Sich selber als Geist zu sehen (lacht).
MF: Sicher einer der dunkelsten Momente für dich war, als dein Bruder Morten starb…
Michael: …ja, natürlich, das war sehr hart. Auch weil er nicht mehr mit uns spielt seit 2016. Kraen stieg ein Jahr später in die Band ein. Morten hat die Lieder immer aus einem anderen Blickwinkel angesehen, was uns beim Schreiben sehr geholfen hat. Es war das erste Mal, dass ich mehr oder weniger für das Songwriting alleine verantwortlich war. Morten hat mich aber immer angetrieben weiter Musik zu machen und niemals aufzuhören. Seine Worte haben mich immer angetrieben.
MF: Morten war ein Gründungsmitglied. Wie schwer war es ihn zu ersetzen?
Michael: Es war sehr schwierig. Es war nicht einfach einen neuen Gitarristen zu finden, der seinen Platz einnehmen konnte. Kraen hat dies aber wunderbar gemacht. Er ist perfekt für die Band, hat sich sehr schnell eingefunden, und es macht sehr viel Spass mit ihm bei Artillery zu spielen. Kraen hat ähnliche Wurzeln wie wir, und ich bin mir sicher, dies macht das Zusammenspiel mit ihm noch um einiges einfacher.
MF: Nicht nur Kraen ist wichtig für die Truppe, sondern in meinen Augen auch euer Sänger Michael. Er macht einen unglaublichen Job seit 2012.
Michael: Absolut, ich denke er wird von Album zu Album besser und besser. Er hat sich in die Band eingefügt und seinen Platz gefunden, so dass er zu einem sehr wichtigen Bestandteil wurde. Ich weiss, dass einige Fans unsere alten Sänger vermissen, aber ich bin mir zugleich auch sicher dass es keinen besseren Shouter für «X» gegeben hätte! Weisst du, in diesen Corona-Zeiten ist es nicht einfach eine Combo am Leben zu erhalten. Wir haben 63 Shows, die wir nachholen müssen. Die Festivals sind da noch nicht mit eingerechnet. Alles wurde abgesagt oder verschoben auf 2022.
MF: Letztes Jahr habt ihr «In The Thrash» und «Deadly Relicts» veröffentlicht, wer hatte die Idee dazu?
Michael: Wir haben einen guten Geschäftspartner in Dänemark, der diese Scheiben veröffentlichen wollte. Er hat mich immer wieder gefragt, ob wir dies zusammen umsetzen könnten. So schickte ich ihm einige Demo-Aufnahmen. Viele Erinnerungen kamen hoch (lacht). Richtig gute Erinnerungen aus der Vergangenheit. Es hat immer Spass gemacht, neues Material zu komponieren. Dabei lernte ich viele Leute kennen. Es war eine wirklich coole Zeit.
"...Das ist unserer eigenen Dummheit zu verdanken, dass wir in den achtziger Jahren einen solchen Vertrag unterschrieben..."
MF: Dann fehlt nur noch der Re-Release von «By Inheritance», diese Scheibe ist wirklich sehr rar und kaum mehr zu finden.
Michael: Das liegt an der alten Plattenfirma. Sie haben noch immer die Rechte an den Songs, und somit können wir nicht einmal die Tracks streamen. Das ist unserer eigenen Dummheit zu verdanken, dass wir in den achtziger Jahren einen solchen Vertrag unterschrieben. Glaub mir, das pisst mich richtig an. Viele Leute möchten diese Scheibe kaufen, aber wir kommen nicht an die Rechte ran.
MF: Wie seid ihr zu eurem Bandnamen gekommen?
Michael (lachend): Der ist einem alten Tank-Song zu verdanken. «Heavy Artillery» vom «Filth Hounds Of Hades»-Album. Als wir den Track zum ersten Mal hörten, das muss 1982 gewesen sein, wussten wir, dass Artillery unser Bandnamen sein muss (lacht). Denk aber nicht, dass es damals für unser einfacher war zu existieren (lacht). Wir sind heute verdammt froh und stolz, dass es uns noch immer gibt, spielten so viele Shows auf der ganzen Welt und haben immer wieder neue Alben veröffentlicht. Das ist ein einzigartiges Gefühl und macht uns sehr, sehr stolz, dass wir noch immer existieren.
MF: Wie schwer war es für eine dänische Thrash Metal Band neben den amerikanischen Truppen zu bestehen?
Michael: Natürlich war das nicht immer einfach. Auch die deutsche Szene war sehr gross, aber den grössten und wichtigsten Platz nahm die Truppe aus den Staaten ein. Wir haben als kleine, punkige Version von Motörhead angefangen (grinst). Damals kannte den Begriff «Thrash» noch niemand. Ja, es war verdammt schwierig einen Teil des Kuchens abzubekommen (grinst). Weisst du, in Dänemark konnten wir nicht die gleichgrossen Erfolge feiern, wie die US-Truppen. Dass unser Weg nicht genau gleich verlaufen würde, wie jener der Jungs aus den Staaten, war uns klar. Wären wir eine Truppe aus Amerika, oder Deutschland gewesen, hätten wir sicher andere, oder bessere Möglichkeiten gehabt. «That's the way it is» (grinst).
MF: Warst du aus diesem Grund frustriert über das Musikgeschäft, Manager oder Plattenfirmen?
Michael: Weisst du, ich war immer sehr stark in die Business-Seite der Band involviert. So habe ich viele Dinge miterlebt (grinst). Die Zeiten waren schwierig, speziell heute mit Spotify und dem ganzen Scheiss. Auch wenn man es kaum mehr ändern oder die Zeit zurückdrehen kann, wünsche ich mir, dass Bands wieder Tonträger verkaufen könnten wie früher. Es gibt immer Dinge, die man später ändern würde. Es gab in der Vergangenheit sehr viele tolle Erlebnisse, das darf man nicht vergessen, beziehungsweise die Schlechten darüber stellen. Wenn man älter wird, wird man auch genügsamer (grinst). Klar hätten wir uns erhofft, dass Artillery eine grössere Band würde. Aber zumindest haben wir erreicht…, weisst du, ich liebe es noch immer Musik zu spielen und dies mit tollen Freunden zu tun.
MF: Trotzdem habt ihr euch nach «By Inheritance» aufgelöst. Was waren die Gründe? Zumindest nach diesem Album standen die Zeichen, dass ihr den Durchbruch schaffen könntet, auf Sturm.
Michael: Zu diesem Zeitpunkt wollte die eine Hälfte der Truppe touren bis zum Umfallen. Die anderen hatten genau davon die Nase gestrichen voll. Das war eine schwierige Zeit. Wenn du liebst was du machst, aber keine Promotion erhältst und nicht auf Tour gehen kannst. Das war der Grund und hat der Combo zum ersten Mal das Genick gebrochen. Bei der Jahrtausendwende scheiterten wir an den gleichen Gründen. Wir erhielten eine Offerte ein neues Album zu komponieren. Damals war die Band eher ein Projekt. Da half auch der Auftritt beim Wacken Open-Air und eine Show in Kopenhagen nichts. Flemming (Rönsdorf), unser damaliger Sänger, wollte keine weiteren Shows mehr spielen. Aus diesem Grund lösten wir uns ein weiteres Mal auf, um dann 2007 mit einem neuen Sänger (Sören Nico Adamson) zurück zu kommen. Wir versuchten Auftritte an Land zu ziehen und konnten tatsächlich 80 bis 100 Konzerte pro Jahr spielen.
MF: Welches war für dich die erfolgreichste Zeit?
Michael: Auch wenn es komisch klingen mag, aber momentan erleben wir eine wirklich coole Zeit zusammen. Vor Corona hatten wir viele Konzerte, schrieben neue Alben und dies in einem zweijährigen Rhythmus. Es macht wirklich sehr viel Spass, und die Freundschaft in der Band ist unglaublich toll. Wir haben sogar in Australien, Neuseeland und Thailand gespielt und waren in einem wirklich tollen "Flow", der leider durch das Virus ausgebremst wurde. Wir verspüren heute weniger Druck als früher. Das macht vieles um einiges einfacher.
"...das war in den neunziger Jahren. Diese Periode, als Grunge und Death Metal das grosse neue Ding waren..."
MF: Welches waren die schwierigsten Momente in deinem Leben?
Michael: Ich denke, das war in den neunziger Jahren. Diese Periode, als Grunge und Death Metal das grosse neue Ding waren. Damals die Möglichkeit zu bekommen, alleine nur in Dänemark auftreten zu können, war sehr schwierig. Es war wirklich die härteste Zeit für uns. Viele Truppen haben diese Epoche nicht überlebt, leider!
MF: Was war für dich früher wichtig und was ist es heute?
Michael: Ich denke…, die wichtigste Sache für mich heute ist, eine gute Freundschaft zu pflegen. Leute um mich zu haben, denen ich vertrauen kann und mit denen ich neue Songs kreieren kann, welche die Band auf einen höheren Level bringen. In der Vergangenheit war es wichtig, raus zu gehen und Spass zu haben. Ich bin in all den Jahren älter geworden (lautes Lachen). Dadurch nehme ich viele Dinge leichter als früher. Ich bin viel relaxter als noch vor einigen Jahren. Das ist eine richtig tolle Erfahrung in diesem Business. Wenn du zu einem Konzert geflogen bist und der Flug hatte Verspätung, dann bin ich früher völlig ausgetickt (lacht). Heute sage ich höchstens noch: "Okay, mal sehen was wir tun können, damit alles noch klappt" (lacht). Das ist garantiert eine Altersfrage und hat vieles in meinem Leben vereinfacht (grinst).
MF: Was sind die Pläne für die Zukunft?
Michael: Schnellstmöglich raus zu gehen und so viel wie möglich zu spielen (lacht). Wir hoffen alle, dass der Corona-Scheiss bald vorbei sein wird und wir wieder mit unseren Fans eine tolle Metal-Party feiern können. Natürlich wollen wir ein weiteres Album komponieren, damit wir den 40igsten Geburtstag der Band feiern können. Das wird 2022 der Fall sein, und es sind schon ein paar coole Ideen geplant.
MF: Dann freuen wir uns auf euer Jubiläum. Ich bedanke mich für das Interview, deine Zeit wie die tolle Musik und hoffe dich bald wieder in der Schweiz zu sehen…
Michael: …ich hoffe sehr, dass wir bald wieder bei euch spielen können. Wir tragen viele schöne Erinnerungen in uns mit, wenn wir an die Schweiz denken. Zum Beispiel spielten wir in Luzern, eine sehr schöne Stadt. Ich danke dir für deine Unterstützung, pass auf dich auf und hoffentlich auf bald.
Artillery irgendwann in den 80ern