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"...Aus diesem Grund stellte ich nicht was Herkömmliches als Idee vor, sondern diese «Metal Chansons»..."
Es ist diese konzertlose Zeit, in welcher man sich Dingen widmen kann, die bis anhin auf der Strecke geblieben sind. Dass «Rock Chansons» nicht nur eine Laune des Virus war, sondern dass durchaus auch eine andere Antriebsfeder dahinter stecken kann, gesteht Sänger Bernhard Weiss, der mit diesem Album völlig neue Wege geht. Auskunftsfreudig wie immer, plauderte der Shouter frisch von der Leber weg und macht das Interview einmal mehr zu einem Erlebnis.
MF: Wie kommt man auf eine solche Idee, ein Album nur mit Klavier und Gesang zu komponieren?
Bernhard: Damals mit dem Theater, dieses «Prometheus Brain Project», ging es um einen Jungen, der aus dem Kaukasus nach Paris kommt, in die Stadt der Liebe. Er versucht dort sein Glück, wird aber von der ganzen City nur ausgesaugt. Zudem ging es um Globalisierung, Flüchtlinge an der Grenze von Europa und um das Virus. Alles Dinge, die wahr geworden sind. 2006 haben wir uns dies mit dem Theater erdacht. Auch die Idee, einmal Heavy Metal Chansons zu komponieren. Im Zuge der Pandemie und dass ich ein Stipendium von Nordrhein-Westfalen erhielt, pochte diese Idee wieder an die Oberfläche. "Versuche ich mich einfach mal daran" (grinst), sagte ich mir und schrieb intime, sehr puristisch angehauchte Songs. Grundsätzlich das Gegenteil dessen, was ich immer mit Axxis schreibe. Die Essenz der Lieder sollte in den Mittelpunkt und Vordergrund gerückt werden. Weniger die Sounds oder die brachiale Gewalt einer E-Gitarre. Das hat mir plötzlich richtig viel Spass bereitet.
MF: Wie war es für dich die Songs zu schreiben? Einfacher oder völlig eine neue Welt?
Bernhard: Eine total neue Welt, in welcher ich mich zuerst zurecht finden musste. Ich bin es nicht gewohnt, so nackig und alleine mit meiner Stimme da zu stehen. Normalerweise kann ich mich hinter einer Band verstecken (grinst). Das war dieses Mal nicht möglich. Die Songs, die Stimme und das Piano. Fertig! Zu Beginn fühlte sich dies für mich sehr komisch an. Aus dem einfachen Grund, weil ich immer der Meinung war, das noch was fehlte. Es kam aber kein Schlagzeug, keine Gitarre und auch kein Bass dazu. Das war ein Umgewöhnen (grinst).
MF: Wie bist du mit dem Endresultat zufrieden?
Bernhard: Überraschend positiv. Ich hätte nicht gedacht, dass ich es hinkriege, das Produkt überhaupt dem Markt anzubieten. Das war auch nicht meine Idee. Die Hauptmotivation war…, Nordrhein-Westfalen hat in der Pandemie-Zeit Stipendien vergeben. Das geschah aber nur in meinem Bundesland. "Wenn du als Künstler etwas machst, dass dir völlig fremd ist und es noch nie gemacht hast, zahlen wir dir die Kohle". Dirk Brand, unser Drummer, hat mich auf die Idee gebracht, aber davor gewarnt, nicht den gleichen Fehler zu machen wie er. Die Kinder-CD für die Allgemeinheit wurde abgelehnt. Er versuchte sich dann an getrommelte Schamanen-Musik (grinst). Diese Idee wurde angenommen. Das bedeutete, dass man mit irgendwelchen bekloppten Dingen ankommen musste, damit sie angenommen wurden (lautes Lachen). Das ist der Wahnsinn. Aus diesem Grund stellte ich nicht was Herkömmliches als Idee vor, sondern diese «Metal Chansons». Zuerst wollte ich nur 300 CDs für mich pressen lassen, auch als Beleg für Nordrhein-Westfalen. Die Intention das Album in den Handel zu geben war nicht vorhanden. Ich wollte nur dieses Stipendium erhalten. Harry, unser Keyboarder, sagte: "Die ist echt geil geworden". Auch Soulfood fand, dass man 1'000 bis 2'000 Stück pressen sollte, weil das nicht viel teurer ist. Es ist echt überraschend, wie das Album bei euch in der Presse Anklang findet. Damit habe ich überhaupt nicht gerechnet, schon gar nicht Reviews in Metal-Magazinen zu kriegen. Der Sound hat mit Metal nichts am Hut, ausser, dass ich in einer Rockband singe. Du würdest von Adele ja auch keine Review schreiben!?
MF: Am Ende des Tages öffnen sich Soundwelten, die man sich als Hard Rock oder Metal-Fan nicht gewöhnt ist, aber diesen Tiefgang besitzt, den man gerade aus diesen Welten kennt…
Bernhard: …ja, da hast du recht. Ich kann mich nicht verstellen und irgendwas konstruieren, das ich nicht kann und bin. Ich habe auch hier das getan, was ich immer tue. Einfach mit einem anderen Instrument. Ich habe drauflos komponiert, ohne eine Idee zu haben, was dabei raus kommen soll. Manches war wirres Zeugs, das ich zuerst ordnen musste. Aber am Ende des Tages tauchte eine Vielzahl von Ideen auf. Dinge, die wir früher auch schon bei Axxis-Titeln wie «The Moon» verarbeiteten. Auf der anderen Seite traten auch viele emotionale Momente ans Tageslicht, wie man zum Beispiel in der Corona-Zeit gelebt hat. Das Ergebnis fand ich überraschend sexy. Das ist das Interessante an meinem Beruf, dass man zu Beginn vor einen grossen weissen Stück Papier sitzt und am Ende überrascht ist, was alles beim Komponieren ans Tageslicht kommt.
MF: Genau, schon bei Axxis hast du immer wieder kritische und zum Denken anregende Texte verfasst. Konntest du hier noch einen Schritt weitergehen und fandest gar keine Grenzen vor, während bei Axxis vielleicht noch der Rotstift gewisse Themen vereitelte?
Bernhard: Eigentlich nicht. Ich finde es total bescheuert, wenn Sänger Soloalben veröffentlichen. Weil das den Eindruck erweckte, dass sie in der eigenen Truppe nicht ausgelastet sind und sich nicht entfalten können. Das ist bei mir und Axxis überhaupt nicht der Fall, da ich immer machen kann was und wann ich will. Diese Lieder hätte ich auch für Axxis komponieren können. Dann hätten wir sie einfach anders umgesetzt. Dieses Soloalbum hätte ich nicht gebraucht, um mein Ego zu befriedigen. Die Intention war wirklich, zuerst die Kohle des Bundelandes, dann das positive Feedback und dann der Schritt zu Soulfood. So hat sich alles entwickelt, war aber nie so geplant.
MF: Wie waren die Reaktionen deiner Mitmusiker?
Bernhard: Sehr positiv! Harry war der Erste, der mir bei der Umsetzung geholfen hat. Ich war nicht der tolle Klavierspieler und musste mich zuerst mit diesen Tasten auseinander setzen. Die künstliche Intelligenz ist in der Musik sehr weit fortgeschritten. Klar muss man ein Grundverständnis haben, aber bei der Virtuosität kann nachgeholfen werden (grinst), um zu realisieren, was man im Kopf hat. Meine Mitmusiker waren überrascht, dass ich dies so hingekriegt habe.
MF: Sind noch Auftritte geplant oder hast du Blut geleckt, respektive willst noch was anderes machen?
Bernhard: Eigentlich nicht! Es war nur dieses Stipendium, das ich wollte. Ein Soloalbum stand bei mir nie auf dem Plan. Es gibt viele Sänger, die auf zig Hochzeiten tanzen. Das finde ich für die Hauptband degradierend. Bevor ich so was wegen des Geldes mache, da verdiene ich meine Kohle lieber als Musiklehrer, aber niemals in anderen Projekten oder Bands. Axxis sind total geil, und mit den Jungs zu arbeiten bereitet sehr viel Spass! Da muss ich mir keine eigene Konkurrenz aufbauen. Aus diesem Grund war «Rock Chansons» eine Ausnahme. Klar hat es mir Spass gemacht, und das Ergebnis finde ich klasse. Es ist nicht auszuschliessen, dass ich nochmals so etwas angehe, aber da sind andere Ideen im Kopf, die ich gerne realisieren möchte. Ein Album komplett nur mit der Gesangsstimme, ohne ein Instrument aufzunehmen. Nicht a cappella, sondern alle Instrumente und Sounds nur von der Stimme nehmen. So was zu machen, da hätte ich echt Bock drauf! Das wird keine Sau vom Sofa ziehen, ist aber rein technisch eine Herausforderung für mich.
MF: Was läuft gerade bei Axxis? Nach «Virus Of A Modern Time» wurde es still um euch...
Bernhard (grinsend): Das war bei jeder Band der Fall, da es keinen Sinn machte etwas Neues auf den Markt zu bringen. «Virus Of The Time» war nicht geplant und stammte vom «Prometheus Brain Project». Ein Projekt, bei dem es um die sich ausbreitende Menschheit geht, bei dem das Virus seine Möglichkeit nutzt sich auszubreiten und die Natur alles wieder ins Lot bringen wird. Keine Verschwörungstheorie, sondern natürliche Vorgänge wie der Planet, der sich selber regelt, wenn einer zu viel darauf ist. Diese Idee schwirrte mir seit 1989 im Kopf herum, nachdem ich das Buch «So lasst uns ein Apfelbäumchen pflanzen» von Hoimar von Ditfurth las. Er beschrieb da, dass die Menschen wie Cholerabakterien sind. Sie vermehren sich auf dem Körper, bis er kaputt geht, und sterben aus. So verhält sich in meinen Augen auch die Menschheit. Obwohl wir Verstand besitzen, kriegen wir es nicht gebacken, diese Situation zu händeln. Wie auch den Klimaschutz. Es ist allen bekannt, aber keiner will sein Leben ändern, um dem gerecht zu werden. Weil die Natur dies nicht so vorgesehen hat. Wir sind nicht so intelligent und greifbar, dass wir das regeln könnten, denn das will die Natur gar nicht. Die will uns nur platt machen, wenn wir zu viele sind. In diesem "Prometheus Projekt" haben wir all diese Situationen, welche im Jahr 2020 passierten, vorher gesehen. Aus diesem Grund haben wir «Virus Of A Modern Time» raus gebracht. Bei «Boats Of Hope» warnten wir vor den Flüchtlingsströmen und haben dabei rumgesponnen. Wir hätten niemals gedacht, dass dies wahr werden könnte. Für uns waren dies nur Bilder, die dann plötzlich zur Realität wurden. Plötzlich gibt es da ziemlich lustige Querverbindungen, die auftauchen, bei denen man uns schon fast als Urheber der Verschwörungstheorie abstempeln könnte (lacht).
"...Alle sagen, dass sie CDs und Vinyl kaufen, aber die Verkaufszahlen gehen, nicht nur bei uns, zurück. Wir steigen in die Charts ein, aber die Verkäufe werden immer weniger..."
MF: «Virus Of A Modern Time» habt ihr nur über das Internet verkauft. Wird das eure Zukunft sein, dass ihr keine CDs oder Vinyl-Scheiben mehr veröffentlicht und alles nur noch online bringt, weil es keinen Sinn mehr macht diese zu verkaufen?
Bernhard: Das ist eine gute Frage! Ich finde es sehr schade, wenn dem so wäre. Aber! Wenn uns der Fan dazu zwingt, was sollen wir machen? Oder die Industrie den Fan zwingt! Autos mit CD-Player gibt es nicht mehr. Wie soll der Fan noch seine Musik im Gefährt anhören? Der Markt schränkt das CD-Hören ein, durch die Technologie, die heute vorhanden ist. Sowie das Verhalten der Fans. Alle sagen, dass sie CDs und Vinyl kaufen, aber die Verkaufszahlen gehen, nicht nur bei uns, zurück. Wir steigen in die Charts ein, aber die Verkäufe werden immer weniger. Das ist ein komisches Phänomen. Auf der anderen Seite gibt es beim Vinyl wieder ansteigende Zahlen. Das ist eine Tendenz, die ich sehr schön finde, weil man das Flair des Musikhörens mehr zelebriert. Der Massenmarkt ist aber Spotify. Daran muss man sich gewöhnen, anscheinend. Ich höre wenig Musik. Wenn, dann CDs. Vinyl liegt viel bei mir rum. Da passiert an einem Abend mit Freunden, wenn wir Zigarren rauchen und Whisky trinken, dass als Bonus Vinyl aufgelegt und damit dem Abend gerecht wird. Das wurde seltener, weil solche Abende nicht mehr möglich waren. Bevor ich eine CD in das PC-Laufwerk schiebe, kann ich es mir auch gleich über Spotify anhören.
MF: Warst du jemals über das Business, Manager oder Labels verärgert?
Bernhard: Deshalb haben wir uns selbstständig gemacht (lautes Lachen). Wir sind deswegen aber keine Kontroll-Freaks. Ich bin in diese Szene eingetaucht, weil ich die Musik schon als Kind geliebt habe. Weil man das Gefühl kriegte, dass man sich gegen das Establishment auflehnen konnte. Damals hat das mit den langen Haaren noch Spass gemacht, weil man damit die Leute ärgern konnte. Man konnte sich gegen die ganze Spiesser-Szene auflehnen. Das hat richtig Bock gemacht, und das fand ich toll, als Jugendlicher Stellung beziehen zu können. Heute ist das nicht mehr möglich. Alles ist Larifari geworden. Jeder hat zu jedem Thema etwas zu sagen und aber keiner hat die Eier sich zu etwas zu bekennen. Selbst die Leute welche mich damals aus dem Proberaum geschmissen haben, fahren heute nach Wacken. Weisst du, was ich meine? Jetzt gehört schon die Rockszene zum Establishment und wir treten auf Kreuzfahrtschiffen auf. Weil jeder sich ein Metallica-Shirt umhängt und mit abgefahrenen Typen abhängen will. Damals war das anders, und man hat auf der Arbeit richtig Stress gekriegt, wenn man lange Haare trug. Daraus entstanden richtige Konsequenzen. Deshalb habe ich Musik gemacht. Dann fing es mit dem Business und den Plattenfirmen an, und ich musste mir von Anzugträgern sagen lassen, welcher der richtige Weg ist. Das ging mir immer tierisch auf den Sack, deshalb auch der Schritt…, das Geld hat uns immer davor abgehalten, den Weg nicht zu gehen. Im Jahr 2000 war uns klar, dass wir nun unseren Verlag und unser Label gründen, so dass wir unabhängig sind vom dem ganzen Scheiss um uns herum. Das bedeutete aber, dass wir nicht mehr in diesem Beweihräucherungs-Netzwerk sind. Darum ist es vielleicht auch ein bisschen still geworden um uns. ABER! Wir sind total unabhängig, und das schätze ich weitaus mehr, als sich im Netzwerk von irgendwelchen Musikern zu befinden, die sich der Oberschicht hingegeben haben.
MF: Gibt es Dinge, die du in deiner Karriere bereut hast?
Bernhard: Eigentlich nicht. Wenn ich was scheisse fand, habe ich es angesprochen. Als Beispiel fand ich damals die Zusammenarbeit mit Keith Olsen (Produzent) total toll, aber das, was er mit uns machen wollte, total scheisse. Mit dieser Meinung stand ich alleine in der Band und tat meinen Unmut kund. Es kann nicht sein, dass ein Produzent aus Amerika, nur weil er dicke Eier und Erfolg hat, einer Truppe wie Axxis sagt, dass sie wie Soundgarden klingen sollen. Die Combo gibt es schon, da müssen wir die doch nicht nachäffen?! Ich verstand den Gedankengang nicht und wieso wir nicht mit einem deutschen Produzenten arbeiten sollen. Ein solcher hat es geschafft, «Kingdom Of The Night» als das bestverkaufteste Rock-Debüt-Album aller Zeiten zu realisieren. Was soll Keith besser machen können? Ich verstehe auch nicht, dass Bands sagen, dass sie ein Produzent weiter gebracht hat. Das glaube ich nicht, ausser wenn die Plattenfirma sagte: "Wenn der das produziert, zahlen wir mehr Promotion!" Wir haben unseren Erfolg im Ausland erst gefeiert, nachdem die ganze EMI-Arie (alte Plattenfirma) vorbei war, sprich als wir mit Massacre-Records arbeiteten und unsere Scheiben auf einem kleinen Label veröffentlichten. Plötzlich spielten wir in Spanien, England oder den Niederlanden. Wieso haben wir in den Niederlanden nie gespielt, als wir bei der EMI unter Vertrag waren? Weil diese mit ihrem weltweiten Deal kontraproduktiv zu einer Truppe war, die ihren Erfolg in Deutschland hat. Aus diesen Gründen würde ich nichts anders machen. Klar hat uns EMI diesen tierischen Erfolg geboten. Ich bin trotzdem froh, seit 2000 aus diesem Business-Scheiss raus zu sein. So dass ich meine eigenen Entscheidungen treffen kann. Ein Album wie «reDISCOver(ed)» wäre nie zu Stande gekommen. Wahrscheinlich hätte niemand Bernhard Weiss «Rock Chansons» veröffentlicht. All das können wir tun, weil wir darauf Bock haben. Das macht tierisch Spass.
MF: Ich hoffe, dass dir der Spass nie vergehen geht und bedanke mich fürs Interview.
Bernhard: Immer wieder gerne Martin. Wünsche dir einen schönen Tag und pass auf dich auf!