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"...Die Lieder sind einfach zu geil, um sie irgendwo in der Versenkung liegen zu lassen..."
Da steht man mit Helloween in den Startlöchern und könnte zu einer der grössten Bands des Planeten werden, als Gitarrist Kai Hansen kurzerhand die Handbremse zog und die Kürbisse 1988 nach den immensen Erfolgen der beiden «Keeper Of The Seven Keys» Alben verlässt, um seine eigene Truppe Gamma Ray ins Leben zu rufen. Eine Combo, die dem Grunge mit beharrlicher Konsequenz den Mittelfinger zeigte und sich nach und nach zu einer festen Grösse im melodischen Speed Metal Bereich entwickelte. Nach elf Alben, Gastspielen bei Iron Savior, Unisonic und Hansen & Friends sowie zwei Tourneen im Vorprogramm von Helloween schien die Pumpkins-United-Wiedervereinigung nur eine Frage der Zeit zu sein.
Plötzlich waren Helloween 2016 wieder das Steckenpferd Nummer eins bei Kai, sodass seine Truppe Gamma Ray und seine Bandmitglieder Dirk Schlächter (Bass), Henjo Richter (Gitarre), Frank Beck (der ab 2015 Kai beim Singen unterstützte) und Michael Ehré (Drums) ins Hintertreffen gerieten. Nur noch vereinzelte Shows absolvierten Gamma Ray, wie auch an jenem denkwürdigen Dezemberabend (12.12.2024) in der Halle 622 in Zürich. Wie es sich anfühlt, wieder mit Gamma Ray unterwegs zu sein, schildert Kai im nachfolgenden Interview.
MF: Wie fühlt es sich an, wieder Songs von Gamma Ray zu spielen?
Kai: Grossartig (grinst zufrieden), das macht mir Riesenspass! Die Lieder sind einfach zu geil, um sie irgendwo in der Versenkung liegen zu lassen.
MF: Wie fühlt sich das an? Du bist mit grossem Erfolg mit Helloween unterwegs und Gamma Ray, dein Baby, gerät ein bisschen ins Hintertreffen. Bleibt so ein lachendes und ein weinendes Auge übrig?
Kai: Das weinende Auge besteht darin, dass ich mit Gamma Ray mehr machen möchte, aber Helloween (wieder) zur Priorität wurden.
MF: Bei Gamma Ray – welches war, vom Komponieren her, das schwierigste Album?
Kai: Ach du Scheisse (überlegt)…, das ist schwer zu sagen. Da muss ich ein bisschen in die Vergangenheit gehen. Viele Sachen waren echt Selbstläufer. «Sigh No More» war schwierig. Die Richtung war diffus, wir wussten nicht, welchen Weg wir gehen wollten. «Majestic» war auch nicht einfach, aber der Rest war gut.
MF: Easy going?
Kai: Ja, absolut. Ah, «Land Of The Free Part 2» war auch nicht so locker zu handeln. Da bestand diese hohe Erwartungshaltung (grinst), und das war ein Schuss ins eigene Knie (lacht). An den ersten Teil heranzukommen – da kannst du es am Ende niemandem recht machen. Da hatten wir alle daran zu knabbern, aber schlussendlich ist das Album trotzdem gut geworden, wie ich finde.
MF: Absolut, und auch die «Sigh No More» finde ich eines der besten Alben. Vielleicht, weil es auch ein bisschen anders war?
Kai: Das war nach dem Debüt «Heading For Tomorrow» eine Richtungsfindung. 1992 war die Metal-Szene am Rotieren und Straucheln. Doublebass-Drums waren verpönt, dank Cobain und Grunge. So sind alle traditionellen Metal-Bands ins Rudern gekommen. Ich versuchte Gamma Ray in eine Richtung zu definieren, die unabhängig von den ganz alten Helloween-Sachen ist, also diesen richtungsweisenden Alben.
"...Die ganze Journaille ist auf diesen Grunge- und Alternative-Zug aufgesprungen..."
MF: Wie war es damals für dich? Du hieltest die Fahne des Metals immer hoch. War das völlig einfach oder gab es auch Gegenwind vom Business?
Kai (lachend): Es war furchtbar! Es war schrecklich und eine harte Zeit. Besonders «Sigh No More» und noch mehr «Insanity And Genius» waren schwere Geburten, auch wenn sie sich gut verkauft haben. «Insanity And Genius» ist nach wie vor das bestverkaufte Werk in Japan und blieb nur knapp vor Gold stehen. Schade (grinst)! Aber Europa und speziell Deutschland, das war ein richtiges Kackloch, ganz ehrlich gesagt. Die ganze Journaille ist auf diesen Grunge- und Alternative-Zug aufgesprungen. Als klassische Metal-Band aus Deutschland sah man da nicht gut aus. Auch das Publikum verschwand, und wir spielten vor weniger Leuten. Das war nicht in allen Ländern so, aber gerade Deutschland war echt "Wäh" (lachend). Das war wirklich schwierig. Ab «Land Of The Free» ging es dann wieder aufwärts.
MF: Du hast mit Gamma Ray versucht, etwas Eigenes aufzubauen. Trotzdem klebte der Erfolg der «Keeper»-Alben an deinen Sohlen. Wie schwer war dieser Schritt für dich?
Kai: Zu Beginn hatte ich keine Schwierigkeiten. Viele Lieder waren Überreste aus der Zeit mit Helloween, heisst Ideen, die ich weiter ausgearbeitet habe. Ich fühlte mich komplett frei bei allem, was ich machen wollte. Es gab keinen Versuch, irgendwas in eine Richtung zu drücken. Ich habe einfach gemacht, wonach mir der Schnabel gewachsen war (grinst). Das Resultat war «Heading For Tomorrow». Dass meine Einflüsse mich dabei immer begleitet haben, ist klar. Das kann ich gar nicht anders (grinst) und komme nicht drumherum. Es kommen immer wieder Dinge hoch, bei denen ich denke: "Ha, das kenne ich doch, das habe ich schon bei der und dem gehört." Das passiert mir immer wieder, und manchmal ist es mir auch scheissegal. Das sind Einflüsse, und ohne die ist man ein unbeschriebenes Blatt Papier. Wer meint, dass er davon frei ist, der lügt (grinst). Es macht mir auch Spass, Dinge aus meiner Vergangenheit aufzugreifen, die ich als Fan geil fand, sie herunterzukauen und auf meine Art wieder auszuspucken.
MF: Auf eine sehr gute Art und Weise.
Kai (lachend): Das hoffe ich doch mal!
MF: Zu Beginn gab es auch einige Line-up Wechsel bei Gamma Ray. Wie hat sich das aufs Songwriting ausgewirkt? Hast du mehr für die Musiker geschrieben?
"Was das Songwriting betrifft, da bin ich immer ein ziemliches Ego"
Kai: Nein, eher weniger (lacht). Was das Songwriting betrifft, bin ich immer ein ziemliches Ego (grinst). Ich schreibe die Dinge so, wie sie mir gefallen. Ich muss ein Fan davon sein, und der Einzige, für den ich in eine solche Richtung geschrieben habe, war Michael Kiske, weil ich seine Stimme im Hinterkopf hatte. Das war prägend, gerade in den frühen Helloween-Phasen. Ansonsten nehme ich relativ wenig Rücksicht (lacht).
MF: Du hast immer wieder in anderen Bands gespielt, wie Iron Savior oder Unisonic. Wieso, weshalb, warum? Warst du mit Gamma Ray nicht ausgelastet?
Kai: Nee, überhaupt nicht! Das mit Iron Savior war ein Freundschaftsding mit Piet (Sielck). Wir haben zusammen begonnen, Musik zu machen. «Iron Savior» war ein Song, den es schon zu unserer Second Hell Zeit gab (einer Vorgängerband von Helloween). Das Lied habe ich komponiert, und er hat es komplett umgeschrieben. Er wollte Iron Savior machen, und ich bin einfach mit ins Boot gerutscht. Klar, was den Zeitaufwand anging, habe ich das unterschätzt. Deswegen musste ich mich entscheiden, denn beide Bands zusammen bissen sich.
Unisonic…, war fast ähnlich (lacht). Da habe ich das Gleiche abgezogen (lachend). Das entstand durch die Avantasia-Tour mit Kiske. "Hey Mann, das ist so geil, wenn wir zusammen auf der Bühne sind, wir müssen etwas zusammen machen!" Dass Michi bei Gamma Ray einsteigen würde, stand ausser Frage, weil es nicht sein Ding war. Unisonic war schon in Arbeit, zusammen mit Mandy (Meyer, Gitarre, Gotus, Krokus), Dennis (Ward, Bass, ehemals Pink Cream 69) und Kosta (Zafiriou, Schlagzeug, ehemals Pink Cream 69). Ihnen fehlte ein zweiter Gitarrist, und so kam alles zustande. Das ging gut und hat sich nie grossartig gebissen. Auf Dauer ist das aber immer so eine Sache, da du mit zwei Bands nicht immer auf zwei Hochzeiten tanzen kannst.
MF: War es bei Unisonic auch ein bisschen ein Antasten, ob Michael Kiske wieder bei Helloween einsteigen könnte?
Kai: Na ja, es ist wie es ist, und wir können alle Tobi (Sammet, Avantasia, Edguy) dankbar sein, dass er Michi aus der Versenkung geholt und es geschafft hat, ihn wieder auf die Bühne zu bringen, wo Michi seine Scheu vor der Metal-Szene verloren hat. Dadurch öffnete sich für ihn eine Tür. Unisonic war ein Projekt, das bewusst nicht in eine Metal-Richtung gedacht und für Michi eine angenehme Sache war. Kosta und Dennis nahmen ihn an die Hand. Michi hat sich darauf eingelassen, und ich denke, er hat es auch genossen (grinst). Das war eine geile Truppe mit geilen Liedern.
MF: Wie waren die ersten Schritte zur Wiedervereinigung mit Helloween?
Kai: Ich habe versucht, die Geschichte immer ein bisschen zu forcieren. Wenn wir uns trafen, sagte ich: "Wir wären blöd, nicht wieder was zu machen, wie und was auch immer!" Das kam durch die «Hellish Rock Tour» mit Helloween und Gamma Ray noch mehr ins Rollen. Da fehlte letztendlich nur noch ein Michael Kiske an Bord. Irgendwann gab es dieses Treffen, nachdem alle ihre Offenheit signalisiert hatten. Dieses Meeting lief sehr, sehr gut ab. Man wusste nicht, wie Andi und Michi aufeinander zugehen oder reagieren würden, wie der Vibe sein würde. Aber vom Start weg war es richtig cool, und das war unglaublich. Auf Tour hängen die beiden ständig zusammen ab, gehen nachmittags Käffchen trinken und Kuchen essen…
MF: …Käsekuchen…
Kai (lachend): …genau, Käsekuchen. Es ist lustig, wie sich das entwickelt hat. Das wusste niemand und konnte niemand voraussehen. Wir wollten die «Pumpkins United» Tour spielen und dann mal schauen, wie der Vibe ist und wie alles läuft, respektive mit den unterschiedlichen Charakteren funktioniert. Was bei diesem ersten Meeting zusätzlich nötig war, war eine Aussprache zwischen Kiske und Weiki (Michael Weikath). Das haben die beiden mit einem guten Ausgang hinter sich gebracht, und somit stand dem Ganzen nichts mehr im Wege. Nach der Tour, die nicht nur im Hinblick auf den Erfolg so gut lief, sondern auch auf der persönlichen Ebene…, alles war cool, auch die persönlichen Querelen wurden beseitigt. So kams zum ersten Album, und so gings weiter (grinst).
MF: Habt ihr mit diesem grossen Erfolg gerechnet?
Kai: Man hat natürlich mit Erfolg gerechnet, und bei der Tour wussten wir alle, dass es eine fette Nummer wird. Seit Jahren wünschten sich das die Fans. Trotzdem wurden unsere Erwartungen übertroffen, und das ist ein gutes Gefühl. Wir können uns alle nur glücklich schätzen, dass alles so gelaufen ist.
"...Ich war froh, dass ich frei vom Management, Bandquerelen und dem Druck war..."
MF: Als du damals mit Gamma Ray gestartet bist, was waren deine Wünsche, Hoffnungen, Ziele und Erwartungen?
Kai: Ich war froh, dass ich frei vom Management, Bandquerelen und dem Druck war. Ich war komplett erlöst (grinst) und fühlte mich total frei. Ich wollte nicht mehr gross auf Tour gehen. Das war ein bisschen zu viel mit Helloween, darunter habe ich gelitten. Ich wusste aber, dass ich ein neues Album und Musik machen wollte. Karl Walterbach (Noise Music) gab mir die Rückendeckung, weil er fest an mich glaubte. Das war ein angenehmes Kissen, um sicher in die Sache einzusteigen. Wie das Ganze von den Leuten aufgenommen würde, das wusste ich nicht. Mir war aber klar, dass Gamma Ray, trotz meines guten Namens, nie auf dem Level gehandelt würden wie Helloween, keine Frage. Aber ich war überrascht, denn der Erfolg von «Heading For Tomorrow» war grossartig. Das war eine Bombe und hat mich beflügelt sowie bestätigt.
MF: Warst du enttäuscht von Labels, Managern und dem Business?
Kai: Weniger von den Plattenfirmen. Bei Helloween hatten wir keine Ahnung und waren völlig raus aus den Business-Geschichten. Damit hatte ich nichts zu tun. Erst nach meinem Ausstieg bei Helloween begann ich, mich damit zu beschäftigen. Zwei verschiedene Managements und die Querelen in der Band waren die Hauptpunkte, die nervten. Uns wurde gesagt, wie und wann wir gut zu sein haben. Das gefällt mir nicht (lacht). Ich möchte involviert sein und mitreden. Weil Helloween damals keine Einheit waren, gab es keine Front der Truppe die sagte: "Hey, wir sind hier der Motor, und ihr arbeitet für uns und nicht umgekehrt." Ich hatte das Gefühl, dass wir für alle anderen arbeiten, keine Ahnung haben, was mit den Finanzen läuft und echt die Puppen im Ganzen sind. Das gefiel mir auf Dauer nicht so gut.
MF: Geht da auch der Traum vom Musiker-Sein ein bisschen flöten?
Kai: Ja gut, es war kein schnelles Erwachen, sondern aus dem Dornröschen-Schlaf langsam sich recken und ein "Hä, was ist denn hier los?" Es war nicht ein knallhartes Ding, das uns auf einmal aus dem Bett geworfen hat. Es hat sich alles eingeschlichen, dessen man sich mit der Zeit bewusster wurde.
MF: Wie kommts, dass du nicht mehr alleiniger Sänger bei Gamma Ray bist?
Kai: Das kam durch eine Tour, bei der ich wieder abgekackt hatte. Das passierte öfters und zog sich so ein bisschen durch meine gesangliche Live-Geschichte (lacht) hindurch. Wir trommelten ein paar Leute zusammen: Tobi war dabei, Ralf (Scheepers, Primal Fear), Fabio Lione (Angra, Rhapsody Of Fire, Labyrinth) und eben auch Frank (Beck), den Dirk aus früheren Zeiten kannte. Allesamt sind dies gute Sänger, aber Frank gefiel mir am besten, weil er ähnlich klingt wie ich und vom Vibe her alles gut gepasst hat. Für mich ist das eine Sache, die mir gefällt, nämlich nicht der Hauptsänger zu sein, der die ganze Zeit am Mikrofon klebt, sondern ich liebe es auch, mit der Gitarre herumzulaufen. Ich mag auch nicht die Verantwortung für eine komplette Show zu übernehmen.
"...Ich bin nicht dieser klassische Sänger, der nach dem Gig ins Hotel in die Badewanne geht..."
Ich bin nicht dieser klassische Sänger, der nach dem Gig ins Hotel in die Badewanne geht. Ich veranstalte da zu viel Rock'n'Roll. Ich rauche und ich trinke, und da ist die Stimme nicht dankbar dafür. Aus diesem Grund fragten wir uns, ob wir das mit Frank nicht konstant machen wollen, sprich ihn als zweiten Sänger dabei zu haben. Dass das nicht jedem gefällt, war völlig klar. "Nee, den wollen wir nicht! Der ist doof!" (lacht). Bei den letzten Gigs war die Akzeptanz aber grossartig. Keiner hat gemault und keine doofen Kommentare waren im Internet zu lesen. Das war vorher anders. Er hat sich durchgebissen, und das muss sich nun auf einem Album manifestieren. Wir sind auf einem guten Weg, wenn es dann wieder mal ein Gamma Ray Album geben wird. Ja, wir wollen! Aber zuerst kommen jetzt Helloween, dann folgt ein neues Hansen & Friends Werk, dann kommt die fette Helloween-Tour, und danach gucken wir weiter.
MF: Wird dann Henjo wieder mit dabei sein?
Kai: Das will ich doch stark hoffen. Er ist auf dem Wege, das ist ein langes Ding, weil er nicht nur physisch, sondern auch psychisch ganz schön einen Knacks abgekriegt hat. Klar, wenn du so verdroschen wirst bei einem Unfall – das ist nicht einfach, keine Frage. Er kämpft sich langsam hoch, aber das braucht echt Zeit. Wir hofften, dass er bei diesen und den letzten Shows wieder dabei sein wird, aber es gab immer wieder dieses "Nee, lieber noch nicht!"
MF: Dann hoffen wir, dass Henjo bald wieder bei euch mitmachen kann, und dir wünsche ich weiterhin alles Gute sowie viel Erfolg mit Gamma Ray und Helloween.
Kai: Danke dir, Martin. Es war wieder sehr nett und hat, wie immer, Spass gemacht mit dir…, bis bald.