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"...Früher waren Talent und gute Songs das Markenzeichen. Die alten Truppen leben von ihren Liedern und ihrer Persönlichkeit..."
Girlschool, eine der ersten Frauenbands, spielen noch immer ihren dreckigen Rock'n'Roll, der gewisse Parallelen zu Motörhead aufweist. In der Frühphase der Mädels waren Lemmy und seine Truppe einer der grössten Supporter von Gitarristin und Sängerin Kim McAuliffe, Gitarristin Kelly Johnson, Bassistin Enid Williams und Schlagzeugerin Denise Dufort. Daraus entstand 1981 die Split-Single «St. Valentine's Day Massacre», zusammen mit Motörhead. Seit 1999 hat Jackie Chambers den Platz ihre Vorgängerin Kelly inne, die 2007 an Krebs starb, und seit 2019 ist Tracey Lamb wieder in den Schoss der Mädchenschule zurückgekehrt. Dies zum dritten Mal.
Vor dem "verrückten" Gig in der Musigburg (in Aarburg) hatte ich die Möglichkeit mit Jackie und Denise über die letzten 44 Jahre zu sprechen. Eine Zeit, die verheissungsvoll startete (mit Alben wie «Demolition», «Hit And Run» und «Screaming Blue Murder»), Krisen zu bewältigen waren, aber auch darüber, wie sich die Mädels immer wieder aufraffen mussten, um der männlichen Konkurrenz die Stirn bieten zu können. Dass sie dabei immer eine Einheit sein mussten und noch immer sein müssen, beweist nicht nur das Interview, das ehrlich, mit viel Spass in den Backen und selbstkritisch beantwortet wurde.
MF: Die Band existiert schon seit 1978, was waren eure Ziele, Erwartungen und Hoffnungen?
Jackie: Ich wollte immer eine Songwriterin werden…, Mensch…, diese Schokolade schmeckt lecker, das habt ihr Schweizer echt drauf (lacht)..., grossartige Lieder komponieren, auf der Bühne stehen und eine gute Zeit haben. Tracks spielen, zu denen das Publikum singen kann. Das hat sich bis heute nicht verändert. Schreiben wir neue Songs, dann liegt das Augenmerk genau darauf. Aktuell sind wir wieder in der produktiven Phase und komponieren ein neues Album (grinst zufrieden). Auch hier versuchen wir wieder Dinge zu schreiben, welche die Leute mögen, damit sie die Scheibe kaufen und zu den Songs mitsingen können. Wir wollen nur, dass die Fans glücklich sind...
MF: …damit sie bei den Konzerten eine Party feiern können…
Jackie: …korrekt Martin, aber nicht zu seriös (lacht). Wir wollen Spass haben. Ich bin der Überzeugung, dass es uns heute einfacher fällt, neues Material zu schreiben. Es ist sehr viel in der letzten Zeit passiert. Das liefert genügend Stoff, um darüber zu berichten. Wir versuchen das ganze Weltgeschehen aber in eine "Light-Version" zu verpacken (lacht).
MF: Denkst du, dass das Business für euch einfacher geworden ist?
Jackie: Für neue Truppen sicher nicht. Girlschool konnten sich in der Vergangenheit einen Namen erspielen. Das macht uns das Leben bedeutend leichter. Aber für neue Bands ist es unglaublich hart geworden…, durch das Internet…, es spielt heute keine Rolle mehr, ob du die beste Combo oder talentiert bist. Das Marketing ist viel wichtiger geworden und die Auftritte auf den sozialen Medien. Früher waren Talent und gute Songs das Markenzeichen. Die alten Truppen leben von ihren Liedern und ihrer Persönlichkeit.
MF: Dann sind die sozialen Medien für dich eher ein Fluch, denn ein Segen?
Jackie: Wie gesagt, wenn du eine neue Combo bist und weisst, wie du mit diesen Medien umzugehen hast, erreichst du so bestimmt mehr Leute als mit einem Plattenvertrag. Es hat von beidem etwas. Gehen wir in den Pop-Bereich, arbeiten diese Medien wie Maschinen.
MF: Kommen wir zu Girlschool zurück. Was war die erfolgreichste Zeit für euch?
Jackie: Keine Ahnung, was war für uns die erfolgreichste Zeit?
Denise: Die Achtziger, als wir mit Bands wie Iron Maiden, den Scorpions, Deep Purple oder Rainbow (grinst) unterwegs waren. Das war eine unglaubliche Zeit.
Jackie: Die Zeit, aus der noch unser heutiges Set besteht…
Denise: …korrekt mit «Hit And Run» oder «Screaming Blue Murder».
Jackie: Damals habt ihr wöchentlich tausend Platten verkauft und bekamt goldene Auszeichnungen.
Denise: Genau, vor 44 Jahren muss das gewesen sein (lacht). Kannst du das glauben?
Jackie: Ich bin nächstes Jahr seit 25 Jahren dabei. Es gab aber auch andere Zeiten, ich denke das muss kurz vor meinem Einstieg gewesen sein. Es gab einen Moment, da waren Girlschool nicht mehr so präsent. Die Band hat sich in all den Jahren aber nie aufgelöst. Kim war auf dem Melody Maker auf der Titelseite. Damals klang der Sound ein bisschen anders als das, was man sich von Girlschool gewohnt war. Das muss Mitte der Achtziger gewesen sein, als Kelly von L.A. zurückkam.
Denise: Genau, Chris (Bonacci) verliess die Band und Kelly kam zu uns zurück. Wir waren oft in den Staaten unterwegs und nicht mehr so präsent in Europa, wie zu Beginn der Achtziger. Die Leute dachten tatsächlich, dass sich die Band aufgelöst hatte.
Jackie: Ja, und als Kelly die Band verliess, kam ich zu Girlschool. Zuerst spielten Kelly und ich zusammen in einem Side-Project.
Denise: Ja, Jackie war eigentlich eine Rhythmus-Gitarristin, aber Kelly gab ihr einige Tipps…
Jackie: …vergiss nicht, dass Chris ein paar Strassen entfernt von mir lebte. Sie zeigt mir den ganzen Girlschool Stoff. Wir haben wie blöd geübt, und meine Finger bluteten (lacht). Als ich 1999 bei den Ladies einstieg, ging wie ein neuer Enthusiasmus durch die Band. Seit diesem Zeitpunkt standen wir pausenlos auf der Bühne (lacht).
"...Sie versuchten uns in diese Hard-Soft Ecke zu drücken, wie es damals mit Heart passierte..."
MF: Du hast diese schwierige Phase Mitte der Achtziger angesprochen. Als ihr mit Girlschool angefangen habt, wurde mit euren Musik ein neuer Trend geschaffen, und plötzlich seid ihr mit «Running Wild» einem gefolgt…
Denise: …das war ein Fehler. Wir waren lange in den Staaten auf Tour und wurden von unserer amerikanischen Plattenfirma beeinflusst. Sie versuchten uns in diese Hard-Soft Ecke zu drücken, wie es damals mit Heart passierte. Ich denke, dass gute Lieder auf dem Album sind, richtig grossartige Songs. Aber sie passten nicht zu uns, und darum entschieden wir uns schnell mit «Nightmare At Maple Cross» wieder zu unseren Wurzeln zurück zu kehren. Dieser Sound passte bedeutend besser zu, sprich wiederspiegelte uns.
Jackie: Es ist eines dieser Werke, das man liebt oder hasst.
Denise: Interessanterweise lieben viele unserer Fans die Scheibe. Es war aber eine…, nicht einfache Zeit für uns (grinst).
MF: Wie kam es bei «Running Wild» zu «Do You Love Me?», einem KISS Cover?
Denise: Meine Güte, das ist zu lange her, da kann ich mich nicht mehr erinnern. Lag es an Paul Stanley oder unseren Freunden von Hanoi Rocks, welche die Nummer auch spielten? Kim weiss dies sicher noch. Wo ist sie eigentlich?
MF: Ist dies dann auch die Zeit, an welche ihr euch am wenigsten gerne erinnert?
Denise (wie aus der Pistole geschossen): Oh ja (lacht)! Am liebsten würde ich auch nicht darüber sprechen (lacht). Nein, ich kann mich nicht mehr an diese Zeit erinnern (lacht)…
Jackie: …das ist doch wie bei jeder anderen Truppe auch. Du hast deine Hochphasen, aber auch deine Tiefpunkte. Du hast gute, aber auch schlechte Zeiten. Nach all den Jahren kann sich die Sichtweise ändern. Du kannst nicht immer gute Momente haben, wenn du nicht durch die schlechten durchmarschiert bist.
Denise: Genau, all die Tourneen mit den grossen Bands, das waren brillante Momente.
Jackie: Auch mit Alice Cooper.
Denise: Korrekt, wir haben wirklich mit allen gespielt (grinst zufrieden).
MF: Kommen wir zum Line-up, wieso hat euch eure Bassistin Enid Williams verlassen?
Jackie: Nicht sie verliess uns…
Denise: …Kelly hat sie das erste Mal rausgeschmissen und ich das zweite Mal. Wir sprechen nicht darüber.
Jackie: Es gab bandinterne Gründe, und über die Details legen wir das Handtuch der Verschwiegenheit (grinst).
"...Es war hart, denn wir sprechen hier von Kelly Johnson. Sie war eine unglaubliche Gitarristin..."
MF: Trotzdem seid ihr seit 1999 im gleichen Line-up unterwegs. Wie schwer ist es für eine neue Musikerin in die Band zu kommen und jemanden zu ersetzen?
Jackie: Sehr schwierig! Als die Mädels mich fragten, ob ich in die Truppe einsteigen wolle…, wir sprachen darüber auf Tour zu gehen, auch wenn in diesem Moment keine Angebote für Konzerte da waren. Plötzlich bestand die Möglichkeit in Wacken zu spielen. "Oh mein Gott!" Das wäre mein erster Gig mit den Ladies gewesen, aber es sollte das letzte Konzert von Kelly werden. Es war eine komische Geschichte, die Fussabdrücke von Kelly auszufüllen. Es war hart, denn wir sprechen hier von Kelly Johnson. Sie war eine unglaubliche Gitarristin. Wir waren sehr gute Freundinnen, und sie mochte mein Spiel, da wir eine ähnliche Spielweise haben. Aus diesem Grund war es wiederum sehr einfach sie zu ersetzen. Sie besuchte uns oft an den Konzerten und meinte immer: "Yeah, du klingst wie ich" (lacht). Wenn ich zurück denke…, es machte mich verrückt, aber ich hatte so viel Unterstützung in meinem Umfeld. Wie gesagt, Chris lebte ein paar Strassen von mir entfernt.
Denise: Wir sahen uns jeden Tag, lernten uns besser kennen und wurden schnell zu Freundinnen.
Jackie: Ja, sie halfen mir. Als das erste Konzert immer näher kam, wurde ich von Tag zu Tag nervöser. Als ich auf die Bühne stieg, dachte ich nur: "Oh mein Gott, da stehen ja Leute!" (lautes Lachen). Auf der Bühne atmete ich tief ein, bewegte mich nicht mehr (lacht) und konzentrierte mich nur noch auf mein Spiel (lacht).
Denise: Wir dachten nur, wann beginnt sie zu posen (lacht)? Aber noch heute ist sie noch immer das neue Girl bei uns (grinst). Wie lange bist du nun bei uns…
Jackie: …knapp ein Vierteljahrhundert.
MF: Wie schwer war oder ist es für euch, die richtige Musikerin mit der gleichen Leidenschaft zu finden?
Denise: Früher war es um einiges schwieriger.
Jackie: Heute gibt es bedeutend mehr Musikerinnen als damals.
Denise: Auch wenn es noch immer zu wenig gibt!
Jackie: Früher war es eine Männerdomäne, das hat sich zum Glück gelockert und es gibt sehr viele Frauen, die ein Instrument spielen.
"...Ich denke jedoch, dass die alten Truppen andere Geschichten erzählen können als junge..."
MF: Wart ihr, wenn wir nochmals auf «Running Wild» zu sprechen kommen, verärgert über das Musikbusiness, Manager und Labels?
Jackie: Ich glaube nicht, und sonst habe ich es verdrängt (lacht)…
Denise: …oh ja! Durch dieses Tal gingen alle Bands.
Jackie: Wenn alles gut läuft, spielt es keine Rolle, aber wenn es schief geht, suchst du einen Schuldigen. Das ist im Leben immer so. Ich denke jedoch, dass die alten Truppen andere Geschichten erzählen können als junge. Wir sprechen hier auch nicht über Mainstream Musik, sondern harten Rock.
Denise: Wenn du jünger bist, hast du den ganzen Businesskram nicht im Fokus. Du willst Musik spielen und dabei Spass haben. Heute kommen Eltern mit ihren Kindern, das war früher nicht an der Tagesordnung.
Jackie: Das ist grossartig, dass Eltern ihren Sprösslingen diese Musik weitergeben.
"...Früher sind wir unter dem Sternenhimmel irgendwann morgens eingeschlafen. Heute fragen wir uns nur noch, wo ist mein Bett…"
MF: Auch ein Klischee der Achtziger: Sex, Drugs and Rock'n'Roll. War es wirklich nur ein Klischee?
Denise: Absolut (lacht).
Jackie: Wir haben keine Erinnerung daran (lacht).
Denise: In den alten Tagen gehörte es dazu…
Jackie: …und heute sind wir froh, wenn jeder für sich ein Zimmer und seine Ruhe hat (beide lachen).
Denise (lachend): Lass uns heimgehen und die Füsse hochlagern!
Jackie: Wo sind mein Proteinshake (lacht) und meine Hausschuhe. Wir wollen es nur noch komfortabel (lacht). Früher sind wir unter dem Sternenhimmel irgendwann morgens eingeschlafen. Heute fragen wir uns nur noch, wo ist mein Bett…
Denise: …genau (lautes Lachen).
Jackie: Dusche!
Denise: Wo ist mein Videogerät.
Jackie: Du läufst zum Hotel und hoffst nur, dass der Fernseher funktioniert (beide lachen) …
MF: …und lasst mich alle in Ruhe…
Denise: …korrekt (lacht)…
Jackie: …und fragen uns wo und was in der Minibar zu finden ist (lacht).
"... Wir wollten, dass die Mädels zusammenkommen, und das passierte damals in den Girlschools. Zusätzlich war dieser Song «Girl School» auf dieser Paul McCartney Single zu hören..."
MF: Gibt es eine Geschichte zum Bandnamen?
Denise: Ja, die gibt es. Es ist die B-Seite einer Paul McCartney Single….
Kim (kommt herein): …wir alle gingen auf unterschiedliche Schulen, reine Frauenschulen. Wir wollten, dass die Mädels zusammenkommen, und das passierte damals in den Girlschools. Zusätzlich war dieser Song «Girl School» auf dieser Paul McCartney Single zu hören.
Denise: Nicht, dass wir den Song mochten (grinst)…
Kim: …aber unser Manager fand dies eine gute Idee.
Denise: Hey, das ist unser Interview…, und wenn du nicht von Beginn da bist, dann hau ab…
Kim: …wie ist dein Name, was hast du hier zu sagen?
Jackie: "Get out!" (alle lachen sich schlapp).
Denise: Genau, unser damaliger Manager sah diese B-Seite, und ihm gefiel Girlschool als Bandnamen. Er hat den Namen eigentlich für uns ausgesucht.
MF: Ihr habt mit den ersten drei Scheiben Klassiker erschaffen. Wie schwer ist es für euch heute, nochmals solche Klassesongs zu komponieren?
Denise: Dafür haben wir Jackie und Kim (grinst).
Jackie: Wenn immer es möglich ist, arbeiten wir an neuen Ideen. Wir wollen nicht wie damals klingen, das wäre aus natürlichen Gründen auch nicht mehr möglich. Wir folgen unseren eigenen Ideen und lassen sie fliessen. Was dabei zu einem Song wird, hoffen wir, dass es den Leuten Spass macht. Dabei wollen wir nicht den Fehler begehen: "Lass uns nun einen zweiten Teil von «C'mon Let's Go» schreiben".
Denise: Ja, sie schreibt, schreibt und schreibt…
Jackie: …ab und zu proben wir etwas Neues beim Soundcheck, sofern wir die Zeit haben (grinst). Am Ende klingt es nach Girlschool, da Kim singt, Denise an den Drums sitzt, ich die Gitarre spiele und sich Tracey nun wieder den Bass umhängt. Zusammen sind wir Girlschool und verbiegen uns nicht.
MF: Kommen wir zum Schluss, was war für euch wichtig in der Vergangenheit, und was ist es heute?
Jackie: Uhhhhhhh, was für eine Frage…
Denise: …Geld und Geld (alle lachen). Damals wie heute (noch immer lachen alle).
Jackie: Ist das deine Antwort, wirklich?
Denise: Nein, das war nur Spass. Wir versuchen am Ball zu bleiben und zu geniessen.
Jackie: Martin, was für eine Frage…, als ich begann…
Denise: …hast du dir um überhaupt nichts Gedanken gemacht…
Jackie: …als ich jung war und mein Onkel dreissig Jahre Jahre alt, dachte ich, so alt will ich nie werden.
Denise: Echt?
Jackie: Wolltest du denn älter werden? Vergiss nicht, du bist siebzehn Jahre älter als ich (alle lachen).
Denise: Das mit dem Geld war ein Witz. Aus dem einfachen Grund, weil wir nie welches verdienten (alle lachen). Wir existieren noch immer, und ich geniesse es. Das war damals so und ist es heute immer noch.
Jackie: Man muss die Leidenschaft dafür aufbringen. Wenn du sie verlierst, musst du aufhören…
Denise: …exakt…
Jackie: …ich denke, genau das ist was es früher war und heute ist…, die Leidenschaft. Ohne die kannst du nicht Musiker:in sein, denn es ist verdammt harte Arbeit…
Denise: …absolut, mit der ganzen Reiserei…
Jackie: …allein während dieser Tour fahren wir über 10'000 Meilen. Wir haben gerade einen freien Tag und den benötigen wir zum Reisen.
Denise: Das ist in unserem Alter hart. Wir sind nun mal alte Ladies (lacht).
Jackie: Du musst echt lieben, was du tust, aber das ist Rock'n'Roll! Solange Besucher:innen unsere Konzerte geniessen, so lange werden wir auf die Bühne gehen.
MF: Herzlichen Dank für die Zeit und das Interview, es hat sehr viel Spass gemacht…
Denise: …wir danken dir Martin…
Jackie: …es hat auch uns sehr viel Spass gemacht.