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"...Aber das Schöne ist, dass wir noch immer hungrig sind neues Material zu kreieren, auf Tour zu gehen und Leute zu treffen..."
Joakim "Jocke" Berg ist ein begnadeter Schreihals und Entertainer. Wenn eine Band einen solchen Frontmann in den eigenen Reihen hat, kann nichts schief gehen. Daneben ist der Schwede auch einer der freundlichsten, ehrlichsten und transparentesten Interviewpartner, den man sich vorstellen kann. Das hat Jocke auch beim folgenden Gespräch erneut unter Beweis gestellt. Einem, welches immer wieder eine andere Richtung annahm, weil der Hardcore Superstar Shouter interessante Dinge erzählte, die näher beleuchtet werden mussten.
Im Mittelpunkt des Interviews stand aber das neue Studio-Album «Abrakadabra», das erneut das Gespür für tolle Melodien und harte Grooves vermittelt. Eine Scheibe, die sofort in den Gehörgängen stecken bleibt und Lust auf einen weiteren Durchlauf macht. Jocke, der zusammen mit Gitarrist Vic Zino, Bassist Martin Sandvick und Hauptsongschreiber wie Ideengeber Magnus "Adde" Andreasson (Drums) seit 2008 in der gleichen Besetzung zusammen musiziert, ist und darf mächtig stolz auf das dreizehnte Werk sein. Das Einzige was ihm nun noch fehlt, ist die Freiheit auf Tour zu gehen, um seine Mission und Leidenschaft wieder ausleben zu können. Zum Zeitpunkt des Interviews wurde seine Ehefrau gerade positiv auf Corona getestet, und Jocke hatte derweil nicht weniger als 25 negative Tests (!) hinter sich gebracht.
MF: Wer hatte die Idee zum Albumtitel «Abrakadabra»?
Jocke: Wie immer war es unser Schlagzeuger (lacht). Er kommt stetig mit solchen Ideen an, und ich habe bisher in meinem ganzen Leben keinen anderen Drummer getroffen, der so intelligent wie meiner ist. Er schreibt die meisten Songs und ist mit Neal Peart (Rush) gleich zu setzen. Es gibt nicht viele Truppen, die das Gleiche von sich behaupten können (grinst zufrieden). "Adde" kam mit dem Titel «Abrakadabra» an.
MF: Trägt die neue Scheibe für euch etwas Magisches in sich?
Jocke: Für uns hat dies keine Bedeutung ausser, dass es ein cooler Name ist. Wir alle sitzen im gleichen Boot, seit dieses Scheiss-Virus unser Leben bestimmt. Für uns ist es eher ein: "«Abrakadabra», here we are!" (grinst). Das Einzige was wir machen konnten, war neue Lieder zu komponieren. Die Band am Leben und Laufen zu halten und nicht zu…, sterben (lacht).
MF: War es für diese Scheibe diesmal schwieriger die Motivation zu kriegen, um was Neues zu kreieren?
Jocke: Viele Ideen geisterten schon vor der Pandemie in unseren Köpfen. Wir spielten auf der «Monsters Of Rock Cruise» 2020. Als wir zu Hause in Schweden ankamen, startete die Pandemie. Vieles veränderte das Virus, und so mussten wir uns, wie wir beide, über Zoom austauschen und spielten uns die Ideen jeweils über die Bildschirme vor. Wir waren die ganze Zeit am Ausarbeiten der Songs und der Texte. Das war eine ganz neue Erfahrung nach 23 Jahren in diesem Geschäft. Aber das Schöne ist, dass wir noch immer hungrig sind neues Material zu kreieren, auf Tour zu gehen und Leute zu treffen. Heute triffst du viele Bands welche dir sagen: "Oh…, I am so fucking tired about this shit!" Klar sind auch wir müde, wenn wir von der Bühne runter kommen (grinst). Immerhin werde ich dieses Jahr 48 Jahre alt (grinst), aber im Kopf bin ich noch immer der 20-jährige kleine Junge. Frag mal meine Frau (lautes Lachen).
MF: Könnte es sein, dass das neue Album aggressiver als «You Can't Kill My Rock'n Roll ist»?
Jocke: Hör dir das schwarze Album von uns an, das 2005 veröffentlicht wurde. Damals arbeiteten wir mit Johan Reivén zusammen, der nun auch «Abrakadabra» produzierte. Als wir die ersten Lieder komponierten waren wir sicher, dass sie einen würdigen Nachfolger für das schwarze Album sind. Adde fragte mich: "Wieso fragen wir nicht Johan, ob er die neue Scheibe produzieren würde?" Als Johan die Songs hörte, verstand er, was wir im Kopf hatten und fuhr sofort auf das neue Material ab. Die neue Scheibe kann durchaus aggressiver sein als «You Can't Kill My Rock'n Roll», aber wir mussten diese Aggressivität raus lassen. «You Can’t Kill My Rock'n Roll» besass seine „heavy“ Elemente, war aber melodischer und glatter. Ich weiss nicht ob ich behaupten würde, dass «Abrakadabra» aggressiver ist. Ich denke, das ist das falsche Wort. Eher ein richtiges Rock'n'Roll Album. Vorhin hatte ich ein Interview mit einem Mädchen aus Frankreich. Sie fragte mich, ob ich Hardcore Superstar als Sleaze Combo sehe? Ehrlich gesagt, nicht mehr. Wir haben uns in all den Jahren zu einer kernigen Hard Rock Truppe entwickelt. Okay, ich habe schwarze, lange Haare und trage Makeup auf der Bühne (lacht), aber deswegen sind HCSS keine Sleaze Band (lacht). Wir haben unser eigenes Genre entwickelt…, Street Metal. Da verbinden wir Punk, Metal, Thrash und Hard Rock. Verstehe mich richtig, ich mag Sleaze, Aber ich denke nicht mehr, dass wir eine solche Truppe sind.
MF: Spannend dass du das sagst. Eine weitere Frage ist, wie viel amerikanischer Rock steckt in der DNA von Hardcore Superstar?
Jocke: Ganz viel (lautes Lachen)! Aber (lacht noch immer)…, klar hören wir uns Mötley Crüe und die L.A. Guns an, aber auch viel Slayer, Anthrax, Death Angel, Testament oder Suicidal Tendencies. Wir hören uns beide Camps an, verstehst du?! Aber auch die englische Seite fliesst mit ein, wie Judas Priest, Def Leppard und Iron Maiden. Es sind viele Dinge, die unser Blut und unsere DNA beeinflusst haben (grinst), nicht nur die Amis (lacht).
MF: Du hast auch erwähnt, dass du 48 Jahre jung wirst, aber im Kopf noch immer knapp 20 Jahre alt bist. Das trifft auch auf eure Musik zu, die auf der einen Seite sehr erwachsen klingt und auf der anderen Seite die Dynamik eines Teenagers ans Tageslicht bringt…
Jocke: …ja, ja, oh Gott ich danke dir (lacht zufrieden). Wirst du älter, ist es sehr einfach dass die Fans denken: "Oh, die alten Herren spielen ihren Set runter!" Nimm als Beispiel meine Stimme. Ich singe besser und besser auf jedem Album, auch wenn ich älter werde. Es klingt kräftiger als damals, als ich ein 25-jähriger Rotzlöffel war (grinst). Das hängt damit zusammen, dass ich besser singen will, und wir wollen bessere Songs komponieren! Damals, als wir Teenager waren, wollten wir uns selber verwirklichen. Zu den Tracks wollten wir brüllen, Bier saufen und das Statement abgeben: "I am a tough motherfucker!"
MF: Ist dies nicht auch dadurch gegeben, dass man älter wird und nicht nur noch die nächste Party sucht, sondern den besseren Song komponieren will und sich anders fokussiert?
Jocke: Ja, absolut!
MF: Du bist verheiratet und hast einen Sohn…
Jocke: …nein, ich habe vier Kinder, und du hast doch drei Töchter?
MF: Ja…
Jocke (lautes Lachen): …ich habe gewonnen!
"...Gehst du besoffen auf die Bühne, kannst du durchaus deinen Spass haben, aber der Tag danach wird dich eines Besseren belehren..."
MF: Also, wie schwierig ist es vom Party-Animal Abstand zu nehmen und dafür jeden Abend lieber 100 % abzuliefern?
Jocke (überlegt lange): Scheissgute Frage (grinst). Ich gebe dir eine gute Antwort darauf (grinst). Als wir zwischen 25 und 30 Jahre waren, trank ich Whisky, bevor ich auf die Bühne ging. Heute genehmigen wir uns einen Shot Jägermeister und vielleicht noch zwei bis drei Biere, daneben gibt es nur Wasser. So gehen wir auf die Bühne und "killen". Wenn du älter wirst, wirst du automatisch reifer. Ich weiss, das ist ein blödes Wort, aber es ist, wie es ist. Gehst du besoffen auf die Bühne, kannst du durchaus deinen Spass haben, aber der Tag danach wird dich eines Besseren belehren (lacht).
MF: Wie schwer ist es für dich von der Tour zurück zu kehren und wieder ins "normale", private Leben einzutauchen, nach all diesen verrückten Tagen unterwegs?
Jocke: Heute ist das kein Problem mehr. Wir saufen nicht mehr so viel auf Tour. Bin ich zu Hause, laufe ich viel, bis zu dreissig oder vierzig Kilometer pro Tag. Ich schaue zu meinen Körper und meiner Gesundheit. Klar lieben wir Bier und trinken ab und zu eins. Wir bleiben aber dabei und lassen die Finger von stärkeren Dingen, wie Iron Maiden (grinst). Man muss lernen zu leben. Habe ich einen Kater am Morgen, werde ich dies zu Hause niemandem verraten oder zeigen.
MF: Welche Pläne habt ihr verfolgt, als ihr HCSS gegründet habt?
Jocke: Die Weltherrschaft, was denn sonst?! (grinst). Die grössten Arenen der Welt ausverkaufen und dabei Iron Maiden als Supportband auftreten zu lassen. Wenn du jedoch älter und weiser wirst (mit ernster Stimme), realisierst du vielleicht, dass die Weltherrschaft nicht auf der Landkarte der Musik existiert. Dass es besser ist, gute Musik zu schreiben, welche die Leute lieben und am wichtigsten, dass dieser Sound uns selber auch noch gefällt (grinst). Komponierst du Lieder, welche du als Musiker selber nicht magst, werden dich die Leute sehr schnell durchschauen. Nicht nur auf den Scheiben, sondern noch mehr auf der Bühne. In all den 23 Jahren hat keiner gesagt: "Oh my God, Hardcore Superstar are so boring on stage!“ Dies habe ich wirklich nie gehört.
MF: Fühlst du dich auf der Bühne besser als im Studio?
Jocke: Fragst du mich, dann sage ich "Ja", weil dort mein Platz ist. Ich hasse es im Studio zu sein. Die anderen Jungs lieben es hingegen dort zu sein. Wir haben also zwei Lager (grinst).
MF: Bist du heute mit der Band dort angekommen, wo du immer hin wolltest?
Jocke: Ich denke…, okay, wenn ich an die Weltherrschaft denke, dann haben wir kläglich versagt (lautes Lachen). Aber ich weiss, dass wir klüger geworden sind. Hardcore Superstar bestehen aus Brüdern. Bevor ich eine Idee thematisiere, sehen die anderen Jungs, ob ich in einer guten oder schlechten Verfassung bin. Das ist wie in einer Beziehung mit vier Jungs (lacht) und ist völlig okay so, denn wir kennen all unsere eigenen Grenzen. Wir respektieren uns alle gegenseitig. Das ist sehr wichtig. Sehe ich mir jüngere Truppen an…, "hast du gesehen? Mein Riff ist auf diesem Lied zu hören, und somit wird mein Name als Komponist aufgeführt!" Bei uns ist es so, dass Adde den Hauptanteil der Musik verantwortet. Ich bin für andere Dinge zuständig, die ich besser kann als die anderen. Ich bin definitiv kein besserer Komponist als Adde. Es ist, wie es ist. Bist du jung, so bist du ein verdammter Idiot. Wen interessiert es, dass es DEIN Riff ist, das man auf dem Album hört? Wichtig ist, dass die Combo als Ganzes ihr Bestes gibt. Klar geben auch wir unsere Inputs zu den Liedern ab und ändern immer wieder kleine Teile daran. Wir sind mit dem Alter weiser geworden. Siehst du, ich trinke Wasser beim Interview, aber erzähl das bloss niemandem (lacht).
MF: Es sieht aus wie Gin…
Jocke: …genau, schreib, dass es Gin ist (lautes Lachen).
MF: Was war der beste Moment, der sich wie HCSS anfühlt? Die Nominierungen für den Grammy in Schweden?
Jocke: Ja, das war drei oder vier Mal, aber wir haben keinen gewonnen und warten noch immer darauf (lacht). Der beste Moment ist, wenn ich für unsere Fans auf der Bühne stehen kann, in welchem Land auch immer. Unsere Anhänger zu treffen und die Möglichkeit zu haben, von der Musik leben zu können. Da träumen sehr viele Leute davon, und das ist eine grosse Befriedigung. Moment, nein, das ist das falsche Wort. Es gibt Momente, da setz ich mich hin, kneife mich in den Arm und sage: "Es ist ein verdammt schönes Leben!".
MF: Okay, vielleicht nicht gerade in diesem Moment, da du nicht auf die Bühne gehen kannst?
Jocke (lachend): Scheisse Mann, da hast du verdammt nochmals recht!
"...Viele mussten den Allerwertesten anderer küssen, wir nicht ..."
MF: Gab es Momente, in denen du dich über Manager, das Business oder Labels geärgert hast?
Jocke: "Right, the labels always sucks!" (lautes Lachen). Wir hatten immer gute Leute um uns herum, haben unser Entscheidungen nie bereut, sondern haben immer viel gelernt dabei. Klar triffst du auf deinem langen Weg dumme Leute, wie Inhaber von Labels, mit tausenden von Knutschflecken am Arsch. Aber wir haben einen guten Weg gefunden, uns treu zu bleiben, und wenn uns die Zusammenarbeit nicht mehr gefallen hat, trennten wir uns. "It is was it is!" Vielleicht lag dies auch daran, dass wir immer erfolgreicher wurden. Viele mussten den Allerwertesten anderer küssen, wir nicht (lacht).
MF: Wie schwer war es von der Musik zu träumen, dass ein Traum wahr wurde und gleichzeitig zu realisieren, dass es da auch noch eine geschäftliche Seite gibt?
Jocke: Das ist der langweilige Part (lacht). Er gehört dazu, und du hast kaum eine Möglichkeit, ihn aussen vor zu lassen. Ich spreche jetzt über die Zeit, als wir bei "Music For Nations" unterschrieben. Wir hatten ein Budget, das uns Geld für die Aufnahmen, für den Tour-Support oder die Werbung zusagte. Es war kein riesiges Label, sondern ein mittelgrosses. Sie haben versucht die Räder am Laufen zu halten, aber dabei haben wir die zuständigen Mitarbeiter kaum zu Gesicht bekommen. Heute erhältst du einen Vorschuss für die Videos, und alle können sich diese auf YouTube oder anderen Kanälen ansehen. Wir sind jetzt bei einer kleineren Firma unter Vertrag. Ich mag das, weil ich die Leute persönlich kenne, die für uns verantwortlich sind und sie kennen uns ebenso! "Music For Nations" war eine gute Firma. Das bedeutet aber nicht, dass wenn eine andere erfolgreiche Band beim gleichen Label unter Vertrag ist, dass du die gleichen Konditionen haben wirst. Wir können heute das tun was wir wollen und haben keinen fetten Typen der uns sagen will, was wir zu tun haben. Wir treffen die Entscheidungen nun zusammen.
MF: Gibt es eine Geschichte zum Bandnamen?
Jocke: Ja, unser erster Gitarrist Thomas Silver kam zuerst mit der Idee an, dass wir uns "Superstar" nennen sollten. Wir fanden dies jedoch einen ziemlich doofen Namen. Wenn du ein guter Tennisspieler, Fussballer oder Hockeyspieler bist, dann kannst du ein Superstar sein. Mit 110 % bist du Hardcore…, wow…, Hardcore Superstar (lacht)! So entstand unser Name, ziemlich unspektakulär (lacht). Das Lustige daran ist, dass meine Mutter uns auf Google suchte. Das Einzige, was sie dann unter diesem Namen fand, waren Porno-Seiten (lacht). Sie rief mich an und sagte: "Junge, was zum Geier machst du? Wenn ich nach eurem Namen "google", lande ich nur auf diesen widerlichen Porno-Seiten!“ Ich frage sie danach, ob sie den Namen auch korrekt eingetippt hätte (lautes Lachen).
MF: Herzlichen Dank für deine Zeit und das Interview…
Jocke: …nichts zu danken mein Freund, ich danke dir, es hat Spass gemacht mit dir zu sprechen.