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"...Wir schauten zu all den alten Rock'n'Rollern hoch und dachten: "Oh mein Gott, was machen die alten Säcke da, mit ihren vierzig Jahren..."
Es gibt diese Schlüsselerlebnisse in der Karriere eines Musikbesessenen. So eines gab es auch bei mir damals, 1982, als ich in der Plattenabteilung unseres HiFi-Ladens stand und mir überlegte, welche der vier sich in meinen Händen befindenden Vinyls ich mir kaufen werde. Accept mit «Restless And Wild» und Saxon mit «Strong Arm Of The Law» waren gesetzt. Sollte ich nun aber «Renegade» von Thin Lizzy und Judas Priests «Point Of Entry» ebenso kaufen? Es war eine einschneidende Entscheidung, denn zu Hause blockierte meine erste Priest-Scheibe in den kommenden Wochen den Plattenspieler. Diese hammermässigen Riffs, diese messerscharfe Gesangsstimme und diese knackigen Songs frästen sich bei mir direkt in die Gehirnstube hinein, und es entwickelte sich eine Liebe, die sich in den frühen Achtzigern mit der zu Iron Maiden duellierte.
Heute hat die Truppe um die damalige Besetzung mit Rob Halford (Gesang), Glenn Tipton (Gitarre, der leider an Parkinson erkrankt ist und nur noch selten auf der Bühne stehen kann), Ken "KK" Downing, Ian Hill (Bass) und Dave Holland (Drums) die eiserne Jungfrau um Längen abgehängt. Auch wenn Priest mit ihren Alben immer wieder in der Kritik bei den Fans standen, für mich gab es nie ein schlechtes Album. Auch «Turbo», «Nostradamus» oder die Zeit mit Tim "Ripper" Owens nicht. Oftmals waren es auch die Scheiben nach den vermeintlichen Klassikern wie «Defenders Of The Faith», «Ram It Down», «Point Of Entry» oder «Angel Of Retribution», welche bei mir die grösste Freude auslösten. Und genau diese Truppe feiert nach einigen einschneidenden Line-up Wechseln (Rob kehrte nach zwölf Jahren wieder zurück und KK verliess die Band) ihr 50-jähriges Jubiläum!
Wir hatten das unglaubliche Glück mit dem einzig verbliebenen Bandmitglied, das bei jeder Live-Show (!) auf der Bühne stand, zu sprechen. Ian Hill, der bekannt ist für seine dort unscheinbare, aber sehr effektive Präsenz, sass ganz gemütlich mit seinem Hund auf dem Sofa. Was uns der mittlerweile 70-Jährige über das halbe Jahrhundert Judas Priest zu berichten hatte, könnt Ihr in den folgenden Zeilen nachlesen.
MF: Wie fühlen sich die fünfzig Jahre mit Judas Priest an?
Ian: Es fühlt sich nicht wie ein halbes Jahrhundert an. Alles verging wie im Fluge, und wir hatten eine Menge Spass in dieser Zeit (lacht).
MF: Ihr veröffentlicht eine tolle Box, die aber nur über eure Homepage zu kaufen ist. Wieso?
Ian: Sehr gute Frage, aber ich habe keine Ahnung (lacht). Viele Plattenläden haben ihre Türen geschlossen (lacht), und es scheint schwierig zu sein, eine solche Box unter die Leute zu bringen. Ich gehe aber davon aus, dass unsere Plattenfirma Sony die Box den Fans zugänglich machen wird.
MF: Diese Box ist ein unglaubliches Teil, das alle offiziellen Studio- und Live-Scheiben enthält. Dazu kommen einige unveröffentlichte Konzerte. Wie habt ihr all diese Gigs gefunden?
Ian: Tatsächlich ist dies alles, was uns zu Verfügung stand (lacht). Wir wollten den Fans einen Blick in unser Leben und unsere Entwicklung gewähren, angefangen bei unseren ersten Scheiben. Einige Dinge tauchten plötzlich auf, und wir verwendeten alles, was uns in die Finger kam. Es waren einige komische Gigs dabei, die sich auf irgendwelchen USB-Sticks befanden (grinst). Aber das Material war so gut, dass wir es ans Licht bringen mussten. Unser langjähriger Produzent Tom Allom schichtete alles, damit es auch den Qualitätsansprüchen genügt (lacht). Wir sind alle sehr glücklich, dass diese Konzerte das Licht der Welt erblicken. Vielleicht werden sie eines Tages auch einzeln veröffentlicht, wer weiss das schon (grinst).
MF: Hast du jemals gedacht, dass die Band so lange existieren wird?
Ian: Oh nein! Als wir mit Judas Priest an den Start gingen, in "the bloody '69", hofften wir nur die nächsten Jahre zu überleben (grinst). Wir schauten zu all den alten Rock'n'Rollern hoch und dachten: "Oh mein Gott, was machen die alten Säcke da, mit ihren vierzig Jahren" (lacht). Wir dachten höchstens an den nächsten Tag und das damit verbundene Ergebnis. Tage vergingen und wir wurden älter. Es fühlte sich wie ein Lifestyle an. Wir wollten weiter machen und an diesem Traum festhalten. Dabei dachten wir nie, dass wir so lange mit der Musik überleben könnten. Keiner war ja viel länger im Geschäft. Zu der Zeit war auch ein Frank Sinatra noch kein Urgestein (lacht).
MF: Und heute sind Judas Priest wie ein guter alter Wein. Je älter, desto besser…
Ian: …ja, dankeschön, dass du das so siehst! Wir versuchen noch immer frisch zu klingen, wenn wir neues Material schreiben (lautes Lachen).
"...Mit all diesen tollen Bands wie Van Halen, Sammy Hagar oder AC/DC aufzutreten, war toll...*
MF: Welches waren für dich die prägendsten Momente mit der Band?
Ian: Kommerziell gesehen waren die achtziger Jahre die erfolgreichste Zeit für uns. Speziell Amerika öffnete neue Türen für uns. Was da drüben alles auf den Tourneen passierte, war unglaublich. Mit all diesen tollen Bands wie Van Halen, Sammy Hagar oder AC/DC aufzutreten, war toll. Wir alle waren im gleichen Business und klangen trotzdem so unterschiedlich. Es war eine grossartige Zeit für uns. Wir zogen viele neue Fans in unsere Konzerte. Zu sehen woher wir kamen und wo wir plötzlich standen, war eindrücklich. Wir begannen die Hallen zu füllen, die immer grösser wurden und traten auf den grössten Festivals auf.
MF: Was war für dich persönlich die erfolgreichste Zeit?
Ian: Das ist wirklich eine schwierige Frage. Ich denke (überlegt lange)…, ich weiss es nicht…, ich glaube, das war in den Achtzigern mit «Defenders Of The Faith». Das war echt der Höhepunkt von allem. Danach veränderte sich vieles. Auch mit dem Experiment von «Turbo» mit all den Synthi-Gitarren und die Rückkehr hin zum harten Sound mit «Ram It Down» und «Painkiller». Für mich persönlich waren die Mitteachtziger die erfolgreichste Zeit.
MF: Bei allen Höhen gibts auch Tiefen. Wie hast du die erlebt?
Ian: Das war, als Rob uns verliess. Das war keine glückliche Zeit. Glenn veröffentlichte sein Soloalbum zu dieser Zeit. Es war wirklich nicht einfach. Wir taten immer was wir liebten. Die Magie ging verloren. Zum Glück kam Ripper (Tim Owens) zu uns, und wir veröffentlichten zwei tolle Scheiben mit ihm. Als Rob uns signalisierte, dass er gerne zu uns zurück kehren würde, lag die Entscheidung auf der Hand. Die Fans fragten immer wieder nach einem Comeback (grinst). Rob kam zurück, und wir waren wieder auf Kurs. Nochmal schwierig wurde es, als uns Ken verliess.
MF: Hat es dich geschockt, dass euch Rob damals verliess oder hattest du es kommen sehen?
Ian: Nach der «Operation Rock'n'Roll»-Tour, zusammen mit Alice Cooper, Motörhead, Metal Church und Dangerous Toys und dem Modus «Album-Tour-Album-Tour» seit 1974, brauchten wir eine Pause. Wir verbrachten kaum Zeit zu Hause. Entweder standen wir im Studio oder auf einer Konzertbühne. Rob wollte sich in dieser Zeit seinem Solo-Album widmen. Damit hatten wir kein Problem, weil wir alle wussten, dass der Fokus auf Judas Priest lag. Daraus entwickelte sich eine eigene Karriere für Rob. Ich bin mir aber sicher, dass er damit nicht sehr glücklich war, sonst wäre er nicht nach einer Weile wieder zu uns zurück gekehrt (lacht). Es war, wie es war. Manchmal braucht es solche Erfahrungen um zu wissen wohin man gehört. 2004 kam er zurück und somit auch die glücklichen Momente (lacht).
MF: Gibt es ein Album, das du heute nicht mehr magst, weil nicht ihr den Trend gesetzt habt, sondern einem Trend gefolgt seid?
Ian: Sind wir jemals einem Trend gefolgt (grinst). Ich denke, wir haben sie erfunden und haben somit viele Bands beeinflusst. Das hörst du immer wieder oder siehst es am Style, wie sie sich auf der Bühne präsentieren. Wir haben vieles in all den Jahren komponiert. Einige waren sicherlich der Meinung, dass wir zu kommerziell waren (grinst), den Fokus zu sehr auf Synthesizer legten oder zu brutal wurden.
MF: Was war für euch schwieriger, einen Nachfolger zu «British Steel», «Screaming For Vengeance» oder «Painkiller» zu komponieren?
Ian: Wow, gute Frage. Wahrscheinlich für «Painkiller». Die beiden Scheiben mit Ripper waren verdammt hart und präsentierten uns von einer modern brutalen Seite. Als Rob zurück in die Band kam, versuchten wir einen Nachfolger für «Painkiller», dem letzten Album mit ihm, zu komponieren. Da diese Scheibe so erfolgreich war, mussten wir uns beweisen, dass wir noch immer im Stande waren, tolle Tracks zu schreiben. Das war wirklich schwierig und eine Herausforderung für uns. Wenn du was ganz Neues machst, ist es da relativ einfach. Aber wenn du dich mit den zurückgekehrten Einflüssen von Rob auf eine Reise dahin begibst, wo du vor einigen Jahren aufgehört hast, dann wird dies ein nicht einfaches Unterfangen. Es war auch eine tolle Herausforderung, als Richie Faulkner Ken ersetzte. Was wir mit ihm zusammen kreieren konnten, ist richtig toll. Ich denke, dass «Firepower» wahrscheinlich die beste Scheibe ist, welche wir in den 50 Jahren komponierten.
MF: Gab es eine Zeit, in welcher du über das Business, Manager oder Labels verärgert warst?
Ian: Nicht verärgert, frustriert trifft es besser (grinst). Wir hatten einigen Ärger mit Managern in den frühen Tagen. Die Gründe dazu waren unterschiedlich, und man darf nicht vergessen, dass es damals eine völlig andere Zeit war. Viele Manager kannten das Geschäft kaum und versuchten sich darin zurecht zu finden. Kaum jemand hatte eine Ahnung was wichtig war beim Unterzeichnen eines Plattenvertrages (lacht). Frustration trifft es besser als verärgert. Labels…, wir waren mit CBS und Sony immer sehr glücklich. Seit «Sin After Sin», mit Ausnahme der Ripper-Scheiben, hatten wir das Glück bei diesen Labels unter Vertrag zu stehen.
MF: Wo siehst du selber die grössten Unterschiede zwischen den siebziger Jahren und heute im Musik-Geschäft?
Ian: Ich denke, in diesen Tagen tauchen viele neue Truppen in das Business ein, für nichts. Damals in den sechziger und siebziger Jahren wurde eine Band noch aufgebaut und unterstützt. Man konnte Vinyl und Kassetten verkaufen. Heute wird alles aufs Netz gestellt, und jeder bedient sich davon. Zum Geier, da hat sich wirklich alles verändert. Früher ging man auf Tour, um sein neues Album zu bewerben. Mit dem Tourneen verdiente man kaum Geld, dafür mit den Plattenverkäufen. Je besser du dein neues Produkt auf der Bühne vorgestellt hast, desto besser hat es sich über Wochen in den Charts gehalten. Ich möchte heute nicht eine neue Band gründen. Keiner investiert in dich. Wir hatten das Glück mit der Band in einer Zeit aufzuwachsen, in welcher sich die Labels noch um dein Produkt kümmerten. Sag mir heute noch eine Plattenfirma, die sich langfristig für eine Band interessiert und in sie investiert? Zeit, Geld und Geduld. Es hat sich so vieles verändert, das es dir als Band kaum möglich macht, dich zu entwickeln und von den Grossen zu lernen. Streaming hat den Verkäufen den Todesstoss versetzt. Du hast dein erstes Album veröffentlicht. Wie willst du heute aus der Masse herausragen? Wir haben zum Glück einen massiven Backkatalog und sind realistisch genug zu wissen, dass irgendwann unser Ende kommen wird. Aber bis dahin werden wir eine sehr erfolgreiche Zeit verbracht haben. Als neue Truppe musst du sehr vorsichtig sein, um überhaupt überleben zu können.
MF: Was hat sich für dich persönlich in der Wichtigkeit in all den Jahren verändert?
Ian: Deine Familie ist immer das Wichtigste, und aus der professionellen Sichtweise ist es noch immer das Gleiche. Die Qualität! Lieferst du ein tolles Album und jeden Abend eine tolle Show ab, dann ist es wert, dies am Leben zu erhalten. Kannst du dies nicht mehr aufrecht erhalten, wird es Zeit, deinen Platz zu räumen (lacht). Es ist immer das Gleiche! Wir versuchten immer unser Bestes zu geben und gaben immer hundert Prozent! Solange wir dies fortsetzen können, werden wir auch auftreten, und so lange uns unsere alten Knochen noch tragen werden (lacht).
MF: Ich bedanke mich für deine Zeit und das tolle Gespräch.
Ian: Ich danke dir, immer wieder gerne. Wir sehen uns 2022, glaub mir und bleib gesund.