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"...Nach dem zehnten Bier war er immer noch cool, und wir wussten, der Typ passt perfekt zu uns..."
Seit 2007 sind Hannes (Gesang) und Ande Braun (Gitarre), Jim Müller (Gitarre), Steffen Haille (Bass) und Andy Schnitzer als Kissin' Dynamite unterwegs. Bis vor kurzem, denn da verliess Andy die Truppe, für viele völlig überraschend und machte den Drumhocker für Sebastian Berg 2021 frei. Für einen verschworenen Haufen nicht gerade ein Glücksgefühl. Schliesslich waren die Schwaben mit stetig grösser werdendem Erfolg unterwegs und hatten mit den sechs Studio- wie dem einen Live-Album einiges zu sagen. Wie auch mit dem neusten Streich «Not The End Of The Road», der gespickt ist mit tollen Melodien, einem grundsoliden Rhythmus-Teppich, nachhaltigen Refrains, fetten Gitarren-Riffs und einem Hannes in Bestform. Jim sass eines Abends gemütlich bei sich zu Hause und stellte sich meinen Fragen. Zum Beispiel was Yoko Ono auf dem neuen Werk zu suchen hat und wie sehr man am Stuhl von Aerosmith sägt.
MF: Was hat sich für euch mit «Not The End Of The Road» verändert?
Jim: Das Naheliegendste war die Pandemie, die uns unfassbar hart getroffen hat. Ich spreche jetzt ganz persönlich von mir. Live zu spielen war ein sehr grosser Teil meines Lebens. Das war immer da und eigentlich selbstverständlich. Ich stehe seit ich zehn bin auf der Bühne und Jahre später darf man dies nicht mehr. Es war unfassbar schwer dem Gehirn zu sagen, dass alles okay ist, obschon man diese Glücksgefühle der Stage nicht mehr empfinden kann. Der zweite Schlag war, dass unser Schlagzeuger Andy ausstieg. Nach einem Jahr Pandemie hatten wir alle das Gefühl, dass die Situation sich verbessert und ein geiler Sommer auf uns zukommt..., da steigt Andy einfach aus. So mussten wir echt tief graben sowie viel Hoffnung und Power aus uns herausholen, damit wir aus diesem Loch entkommen konnten. Deswegen ist «Not The End Of The Road» so lebensbejahend geworden, kraftspendend und aufrüttelnd. "Komm, hör' auf Trübsal zu blasen, das Leben geht weiter"! Es ist nicht das Ende der Strasse (lacht).
MF: Kam der Ausstieg von Andy für euch überraschend?
Jim: Der war sehr überraschend! Für ihn war die Band lange ein Kompromiss, da er eher ein Blues und AC/DC Fan ist. Er hat gedacht: "Vielleicht wird es das irgendwann für mich, das einzig Wahre." Nach all den Jahren musste er jedoch erkennen, dass es damit nie was werden wird, und ist auch logisch. Wenn vier in die eine Richtung marschieren, wurde es für Andy schwer, dass er zu 100 % hinter der Musik stehen kann. Deswegen musste er von sich aus gehen. Für uns war sein Ausstieg sehr hart. Es ist der erste Wechsel in der Band, seit es sie gibt (2007). Im Nachhinein merkt man, wie sehr auf diese Weise jemand bremsen kann. Oder anders gesagt, wie einfach es sein kann, wenn alle in die gleiche Richtung laufen (grinst) und es nicht zu Diskussionen kommt. Hey, wie findet ihr das und alle: "Ja! Geil!" brüllen (lacht). Wir sind mit Andy aber noch immer eng befreundet, doch was die Musik betrifft, mussten wir zwei unterschiedliche Wege gehen.
MF: Wie schwer war es einen Nachfolger zu suchen und zu finden?
Jim: Wir haben über die Social Medias aufgerufen, dass uns interessierte Drummer ihre Videos schicken sollten. Das war voll krass (grinst). Sollte ich jemals eine andere Band gründen, werde ich diese Dateien wieder aufrufen (lacht). Das war schon der Hammer! Schlussendlich liessen wir acht Jungs vorspielen. Das war eine total schräge Angelegenheit während dieser Corona-Zeit. So befanden wir uns in der einen Ecke und die Schlagzeuger jeweils in der anderen. Aber ich denke, dass so eine Audition immer komisch ist. Für mich war es die erste, da fühlt sich eh immer alles befremdend an. Als Sebastian anfing zu spielen, musste ich grinsen. Hannes grinste auch, wir beide schauen uns an dachten: "Hoffentlich ist der menschlich cool". Einen geilen Trommler zu finden ist nicht das Problem, aber mit jemandem den Tourbus acht Wochen lang zu teilen und es wird nicht kompliziert, ist eine ganz andere Hausnummer. Nach dem Vorspielen luden wir Sebastian zum Persönlichkeitscheck ein…, heisst wir waren mit ihm saufen gegangen (lautes Lachen). Nach dem zehnten Bier war er immer noch cool, und wir wussten, der Typ passt perfekt zu uns! Der vergangene Sommer war mit vielen coolen Festivals echt super. Das positive Gefühl mit Sebastian hat sich mit diesen Gigs bestätigt (grinst zufrieden).
MF: Kommen wir zum neuen Album. Gibt es einen Song, der für dich heraus sticht oder dir mehr am Herzen liegt als die anderen?
Jim: Ja, «Scars» finde ich einen unfassbaren Song. Der hat mir echt immer wieder eine Gänsehaut beschert und beim Einspielen am meisten Schweiss und Blut gekostet. Alleine die Akustikgitarren zu spielen und dabei den Text zu verarbeiten…, das war vom emotionalen Standpunkt her der Track, der mir am nächsten ging. Ansonsten gefällt mir «Good Life» sehr gut. Das ist einfach eine andere Nummer als das, was wir sonst komponieren. Fast schon ein Gospel-Track (grinst). Das fand ich sehr spannend. Es sind oft die Lieder, die ein bisschen auffallen, die schneller hängen bleiben. Wie «Six Feet Under» von 2012 (vom Album «Money, Sex & Power»). Der war auch komplett anders als die Songs, die wir vorher schrieben. Aber er gehört noch immer zu den Tracks, welche die Leute an unseren Konzerten hören wollen (grinst). Mein Lieblingssong auf «Not The End Of The Road» ist jedoch «No One Dies A Virgin», da ich, als Gitarrist, Lieder an den Gitarren-Solos messe (grinst).
MF: Interessant, dass du «Scars» erwähnst. Als ich mir den Song zum ersten Mal anhörte, dachte ich: "Wow, da sägen die Jungs aber gewaltig am Stuhl von Aerosmith und haben ihr «I Don't Want To Miss A Thing» geschrieben"…
Jim: …oh, okay, geiles Statement. Cool, danke schön! Ich finde es sehr krass, so eine Aussage zu hören. Aerosmith sind Götter, aber auch die werden älter (grinst). Irgendwer muss langsam deren Thron einnehmen (lacht), und man darf immer träumen. Klar träume ich davon, einmal die Grossen beerben zu können oder auch nur noch von Kissin' Dynamite leben zu können. Sich anderweitig in die Sache rein hängen zu können und nicht nach zwei Monaten auf Tour nach Hause zu kommen und keine Ahnung zu haben, was man noch im Kühlschrank stehen hat (lacht). Wir bringen genug Durchsetzungsvermögen und Kraft mit, die Helden zu beerben. In der heutigen Zeit dauert halt alles ein bisschen länger. Ich denke, dass diese Entwicklung gesünder ist für eine Band. Mit Hannes als Songwriter, denn von ihm kommt alles aus einer Feder. Ich bin sehr glücklich, dass er bei uns spielt, nicht nur als Freund, sondern auch als Teil dieses unfassbaren Sounds. An den Songs wird es nicht liegen, dass wir die Helden nicht beerben könnten (lacht). Das sage ich jetzt mal ganz frech (grinst)…
MF: …auch nicht an den Live-Shows, die sind ja auch geil…
Jim: …stimmt, habe ich auch schon gehört (lacht).
MF: Du hast «Good Life» erwähnt. Wie kam es da zu den Gastsängern und Sängerinnen?
Jim: Aus dem Grund, respektive weil es eine Gospel-Nummer ist, wollten wir mit einem Chor zusammen arbeiten. Zu viele Leute zu integrieren, wäre kontraproduktiv gewesen. So entschieden wir uns für zwei Mädels und zwei Jungs, die sich stimmlich krass unterscheiden. Ich denke, die Wahl ist perfekt. Charlotte (Wessels, Ex-Delain) bringt ein bisschen Disney-Flair mit, Guernica (Mancini, Thundermother) besitzt dieses dreckige Blues-Feeling in ihrer Stimme und Alea (Saltatio Mortis) sowie Hannes ergänzen sich super. Zu Alea gibt es zudem eine lange Story. Bei unserem ersten "Summer Breeze Open Air" 2008 feierten uns Saltatio Mortis ab und nahmen Hannes zum Singen mit auf die Hauptbühne. Ich weiss noch, als ob es gestern wäre, wie ich mit meinen sechzehn Jahren unten in der Menge stand und nur dachte "wow"! Als wir dann zwölf Jahre später Alea fragten, ob er Lust hätte bei einem Song mitzusingen, kam es wie aus der Pistole geschossen: "Ja, auf jeden Fall!".
MF: Wie seid ihr auf «Yoko Ono» gekommen?
Jim: Yoko Ono ist für uns ein Begriff für eine toxische Beziehung. Egal, ob es eine Frau oder ein Mann ist. Keiner von uns kennt Yoko Ono persönlich. Wenn sie dies hier liest, darf sie gerne Bescheid sagen und sich mit uns treffen (grinst). Das wäre sicher cool (lacht). Da könnten wir das Video mit ihr nochmals drehen (lacht). Beziehungskiller gibt es oft, sodass der Freundeskreis durch die Freundin von einem Dude leidet. Das kam nicht nur bei den Beatles vor, sondern auch im normalen Leben.
MF: Was inspiriert euch beim Schreiben?
Jim: Von, bis…, da reicht eine TV-Sendung oder eine Überschrift. Man braucht immer eine gewisse Vorstellungskraft. Da reichen ein paar kleine Wörter, und man verliert sich in Gedanken (grinst), da ist Hannes der König. Für mich ist es die Inspiration, sprich Kraft aufzusaugen und dann wieder raus zu pressen. Was in diesem Jahr oder der vergangenen Zeit sehr schwierig war. Gerade bei dieser Platte war es so, dass die Motivation und der Sinn zum Komponieren nach den ersten Live-Shows wieder da waren. Davor hat man es einfach gemacht, aber nicht gefühlt. Das war für mich ein ganz ekliges Gefühl. Wenn du was machst, das du liebst, es aber nicht spürst. Da musste ich durch die Live-Auftritte erst wieder wachgerüttelt werden (lacht). Du kannst deinem Hirn lange genug einreden, dass alles in Ordnung ist. Wenn du es nicht spürst, kannst du die Glückshormone nicht künstlich erzeugen.
MF: Sonst hilft Schweizer Schokolade, da werden immer Glücksgefühle freigesetzt…
Jim: …auf jeden Fall, da drüben liegt sie, die "Schwyzer Schoggi" (lacht).
"...Labels sind nicht mehr das "A" und "O". Es hängt so viel von einem gutem Team ab, dem du vertrauen und dich zurück lehnen kannst..."
MF: Mit «Ecstasy» wart ihr bei Sony unter Vertrag. Im Nachhinein betrachtet eine gute oder eine lehrreiche Wahl?
Jim: Es war eine super Zeit. Sony haben ihre Basis in München aufgelöst und die "Gang", die uns betreute, war nicht mehr vor Ort. Das war einer der Gründe, wieso wir zu Napalm Records gewechselt haben. Da gibt es eine neue Truppe. Labels sind nicht mehr das "A" und "O". Es hängt so viel von einem gutem Team ab, dem du vertrauen und dich zurück lehnen kannst, weil du dir keine Sorgen machen musst.
MF: Wie gross war der Druck beim neuen Album? Immerhin war der Vorgänger «Ecstasy» auf Platz sieben in den deutschen Charts.
Jim: Die Chart-Platzierung haben wir aussen vor gelassen, die ist mir völlig schnuppe. Ich will ein geiles Album komponieren. Ob das dann auf der fünf oder zehn einsteigt…, klar, wenn das Werk auf Platz 98 liegt und keinen interessiert es, ist es auch Kacke. Das Wichtigste ist, nicht nachzulassen. Es ist ein brutaler Druck, der speziell auf Hannes als Hauptsongwriter lastet. Der ist so verrückt…, da ist das Album fertig, wie damals bei «Ecstasy», und er fragt sich, wie soll er das jemals toppen können? In meinen Augen hat das bei «Not The End Of The World» super geklappt, und jetzt geht das Spiel schon wieder von vorne los (lacht). Jetzt hat er wieder keine Ruhe, weil er noch nicht weiss, wie das aktuelle Album zu übertreffen sein wird (grinst). Wir bleiben unserer Linie auf jeden Fall super treu, und es wird nicht langweilig.
MF: Vor dem Release zum neuen Album habt ihr schon vier oder fünf Videos veröffentlicht. Dies gehört in der heutigen Zeit dazu. Wie siehst du diese Entwicklung? Findest du das gut oder bist du eher kritisch, weil das Publikum schon das halbe Album vor der Veröffentlichung kennt?
Jim: Ich sehe dies von zwei Seiten. Persönlich habe ich ultrabock auf Videos. Jetzt fanden keine Shows statt, und darum war der Dreh eine willkommene Abwechslung (grinst). Ich fand es richtig geil, in dieser Zeit so viele Videos zu veröffentlichen. Auch weil ich sagen muss, dass ich unsere bisherigen Videos nicht immer so geil fand. Dann tut es gut, eine Flut an guten Videos raus zu hauen (lacht), damit der Schnitt ein bisschen besser wird (lautes Lachen). Schaue ich mir den «DNA» Clip an…, aber das ist so, wenn man sich als junge Truppe keine Zeit zum Entwickeln lässt und alles gleich veröffentlicht. Bei unseren Clips kann man die Pubertät und alles mit verfolgen (lacht). Das ging mit fünfzehn Jahren los…, aber ich würde nichts anders machen, weil wir sonst nicht da wären, wo wir jetzt sind (grinst zufrieden).
MF: In einer, mittlerweile auch im Musikbusiness, schnelllebigen Zeit, was ist das Erfolgsrezept, dass ihr so lange in der gleichen Besetzung gespielt habt?
Jim: Gute Freundschaft! Alles basiert darauf…, früher waren wir zwei Schülerbands, die mit dreizehn oder vierzehn Jahren zusammenfanden. Machst du zusammen die Pubertät durch, dir im Proberaum im Hormonwahn auf die Fresse gehauen hast, dann kommt da nicht mehr viel (lacht). Die ersten Tourneen waren spannend, weil man auf sich alleine gestellt war. Nach der Tour mit DragonForce war alles in trockenen Tüchern. Da durchlebte man als Truppe dermassen viele Krisen und zugleich unfassbaren geilen Scheiss…, man fühlt sich unantastbar. Kommt einer doof, dann sagst du: "Hey, sei kein Arschloch und reiss dich zusammen!" Es gibt keine Angriffsfläche mehr.
"...und plötzlich sitzt du abends um 20:15 Uhr zu Hause auf dem Sofa und kommst damit gar nicht klar..."
MF: Bei all dem was ihr erlebt habt, hattest du das Gefühl, dass alles viel zu schnell vorbei ging und du nicht alles verarbeiten konntest? So, als ob die Seele nicht mitkommt?
Jim: Das passiert immer nach einer Tour. Du bist drei Monate weg, und plötzlich sitzt du abends um 20:15 Uhr zu Hause auf dem Sofa und kommst damit gar nicht klar (lacht). Du fragst dich: "Was habe ich früher in diesen Räumen bloss gemacht?" Das sind jeweils schon komische Momente. Es bleibt schon viel auf der Strecke. Man will sich immer daran erinnern. Es bleibt ein Gefühl, bei dem man nicht weiss, woher es kommt. An Abenden…, wenn wir uns mit anderen Truppen treffen, mit denen man auf Tour war und über das Vergangene spricht, kennt jeder eine andere Story (lacht). Das ist lustig, und so du kannst deine eigenen Erinnerungen aufarbeiten (grinst).
MF: Das erste Mal sah ich euch auf dem «Bang Your Head!!!» Festival 2009. Wie war das für euch, auf diesen Event zu spielen?
Jim: Das war der Wahnsinn! Das «Bang Your Head!!!» ist für uns das absolute Highlight. Hannes und Ande wohnten damals eine Viertelstunde von Balingen entfernt. Wir besuchten das Festival jedes Jahr, und das war so zu sagen unser "persönliches Wacken", ein absoluter Paukenschlag. Wir versuchen seit zwei Jahren wieder in Balingen auftreten zu können, und ich kann es kaum erwarten, wieder nach Hause zu kommen!
MF: Herzlichen Dank für die Zeit und das Interview…
Jim: …sehr gerne. Martin, alles Gute!