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"...Überdies die Art, wie wir die letzten beiden Jahre überlebten oder wie sich die menschliche Spezies damit auseinandersetzte..."
Die schwedische Band Treat gehört seit fast vierzig Jahren zu den konstantesten Truppen im Hard Rock Bereich. Sie hat ihre eigene Nische gefunden und überzeugt mit fantastischen Melodien, fetten Gitarrenparts und unglaublich gutem Gesang. Sänger Robert Ernlund, Gitarrist Anders Wikström, Trommler Jamie Borger, Bassist Nalle Pählsson und Keyboarder/Gitarrist Patrick Appelgren nahmen sich für den neusten Streich «The Endgame» viel Zeit. Bewusst oder durch die Pandemie verschuldet, sei dahin gestellt. Zumindest hat der Fünfer erneut ein Album abgeliefert, das zu einem weiteren Klassiker werden kann. Anders nahm sich Zeit und liess Aktuelles und Vergangenes zum Thema werden.
MF: Gratulation zum neuen Album, das bei uns zehn von zehn Punkten errungen hat…
Anders: …danke dir Martin, das ist grossartig und fantastisch. In den letzten Tagen hat sich heraus kristallisiert, dass die Leute das Album sehr mögen (grinst zufrieden). Zudem erhalten wir regelmässig sehr gute Bewertungen. Viele alte Freunde wie Fans haben mir geschrieben und uns zur neuen Scheibe gratuliert. Es tut gut, diese positiven Resonanzen nach einer so langen Ruhepause als Band zu hören. Es fühlt sich gut an, wieder da zu sein (lacht). Das aktuelle Bandfeeling ist unglaublich gut.
MF: Was hat sich in deinen Augen von den vorherigen Werken hin zu «The Endgame» verändert?
Anders: Zu allererst haben wir ein altes, neues Bandmitglied (lacht). Nalle Pählsson ist nämlich wieder eingestiegen, nachdem er uns 2011 nach dem «Coup De Grace» Album verliess. Er ist aber mittlerweile schon wieder seit zweieinhalb Jahren bei uns (lacht). Im Sommer 2019 kam Nalle zurück. Pontus Egberg, unser alter Bassist, verliess uns und ich wusste, dass er (Nalle) gerne wieder bei Treat spielen würde. Als er bei uns ausstieg, hatte er sehr viel um die Ohren. Er war mit anderen Bands auf Tour, hatte diese Engagements nun beendet und fand wieder Zeit. Er ist ein Fan von Treat seit unserer Gründung. Es ist immer eine "grössere Angelegenheit", wenn sich das Bandgefüge verändert. Was sich von den Songs her verändert hat, ist, dass wir eine andere Arbeitsweise angegangen sind, als dies noch bei den letzten drei Scheiben der Fall war. Wir wollten wieder "oldfashioned" arbeiten. Wir begannen mit den Proben wie eine normale Band, wie es damals in den Achtzigern an der Tagesordnung war. Vorher betrat man kein Studio (grinst). Das Gute daran ist, dass jeder in der Truppe an den Ideen und Tracks involviert ist. Das ist sehr motivierend für alle. Dank der Pandemie hatten wir genügend Zeit, und wir konnten nach der letzten Show im November 2019 in Deutschland planen. Die Grundidee war, dass wir 2020 mit der neuen Scheibe an die Öffentlichkeit gehen könnten. Aber es passierten Dinge, die ausserhalb unserer Kontrolle lagen. Wir bremsten, liessen allem seine Zeit und wollten unseren eigenen Weg gehen, damit wir wieder die Kontrolle über die nächste Scheibe kriegen konnten. Wir hatten keine Möglichkeit Live-Konzerte zu spielen, und darum steckten wir die ganze Energie, die Konzentration und den Fokus in die neuen Lieder.
MF: Das Album klingt auch wie die nächsten beiden Schritte hin zum perfekten Album oder liegt bereits darüber…
Anders: …viele Leute sind der Meinung, dass «The Endgame» sie an ältere Platten erinnert. Ich kann sagen, dass einige Lieder den Spirit von 1986 oder 1987 verinnerlicht haben. Die Art, wie wir die Lieder performen, ist aber eine völlig andere als damals. Wir sind musikalisch gesehen eine bedeutend bessere Band als früher und wissen genauer, wie wir die Ideen zu arrangieren haben. Ich mag diesen romantischen Blick zurück in die Vergangenheit (grinst), welche die Leute haben. Aber ich bin mir sicher, dass wir mit «The Endgame» einige Schritte nach vorne gemacht haben. Du kannst dir diese Scheibe anhören und richtig geniessen. Ich setze mich jetzt nicht hin und prüfe das Album auf Fehler oder den Mix, der mir nicht gefällt, sondern ich höre mir die Scheibe objektiv an. Das ist eine sehr gute Beurteilung aus meiner Sichtweise. Eine, die die Lieder seit dem ersten Tag kennt (lacht). Wir haben das Glück mit einem Produzenten zusammen arbeiten zu können, der uns wiederum mit seinem sehr objektiven Blickwinkel unterstützen kann.
MF: Wie kam es zu diesen leicht arabisch anmutenden Klängen bei «Rabbit Hole»?
Anders: Das ist einer dieser Tracks, der mit diesem "oldfashioned" Gedanken komponiert wurde. Ich mag diesen Song sehr. Als ich ihn schrieb, erinnerte ich mich an viele moderne Dinge, aber auch an meine alten Tage als Komponist. Eigentlich ist es ein "altes" Treat Riff, das mir ein sehr junges Feeling (lacht) verlieh. Es gibt ein kurzes Arrangement in der Mitte, das überraschend klingt. Mit diesem Break haben wir dieses arabische klingende Element eingefügt. Es ist nichts besonders, sondern soll nur unterhalten (grinst zufrieden). Woher die Idee kam, kann ich dir nicht sagen. Als ich den Track schrieb, kam mir diese Idee spontan, und es klang hervorragend (lacht).
MF: Was willst du uns mit dem Albumtitel «The Endgame» vermitteln?
Anders: «The Endgame» kann vieles sein. Würde ich eine Story daraus machen, dann in der Art etwas zu verlassen. Viele Leute fragten mich, ob dies unser letztes Album sei. Das ist aber nicht so einfach (lacht). «The Endgame» ist ein Statement einer finalen Kunst. Es kann aber auch der Sonnenaufgang einer Karriere sein oder beschreibt die alten Dinge, durch die wir gehen mussten. Überdies die Art, wie wir die letzten beiden Jahre überlebten oder wie sich die menschliche Spezies damit auseinandersetzte. Schau das Cover an..., «The Endgame» verbreitet eine entgegengesetzte Bedeutung. Das Endspiel kann den härtesten Kampf deines Lebens beinhalten, der zu deiner Geburt führt. Bevor du das Licht der Welt erblickst, führst du einen erbitterten Kampf (lacht). Wir werden uns aber nie darüber Gedanken machen, weil wir uns nie daran erinnern werden. Es ist ein kleines Wortspiel. Für mich ist es aber auch eine Art Zyklus und verbindet damit einen Neustart. In unserem Alter und in all den Jahren waren wir ständig damit beschäftigt. Wir befinden uns auf dem Weg zu unserem 40-Jährigen Jubiläum, das nächstes Jahr stattfinden wird. Das ist sehr aufregend. Ich will «The Endgame» nicht als Ende sehen, sondern das kann für uns vielmehr ein Neustart sein. Es ist ein Zyklus, ein sehr geistiges Denken und hat nicht unbedingt etwas mit Rock'n'Roll zu tun (lacht). Es ist eine Wendung, an der wir selbst arbeiten können, uns dadurch beschützt fühlen und eine gegensätzliche Meinung dessen vertritt, was es auf den ersten Anschein bedeuten könnte. Also nicht nur ein Ende, sondern vielmehr einen Start.
MF: Worum geht es bei «Jesus From Hollywood»?
Anders: Eigentlich ist dies nichts anderes als eine Geschichte über einen Mann. Hinter dem Text versteckt sich ein wahrer Charakter einer Persönlichkeit. Ich arbeitete damals in Los Angeles, war lange Zeit Songwriter sowie Produzent in dieser Stadt und sah diesen Typen 2012. Viele Leute sprachen über ihn. Dieser Mann lief durch die Strassen von Hollywood und war gekleidet wie Jesus. Dabei versuchte er vielen Leuten zu helfen. Die Menschen kannten ihn und hatten trotzdem keine Ahnung, ob er ein Obdachloser oder ein Schauspieler war. Seine Aufgabe schien es zu sein, den Leuten auf der Strasse zu helfen, sprich Obdachlosen und Streunern. Ich erinnere mich nicht an seinen Namen, aber er war ein normaler Typ, der seine Rolle als Jesus sehr ernst nahm und versuchte, anderen etwas Gutes zu tun. Als ich den Song komponierte, dachte ich: "Ja, das ist der perfekte Track für ihn" (grinst). Das ist die Geschichte hinter diesem Text, die nicht erfunden, sondern wahr ist und von "WeHo Jesus" (starb Ende 2017 mit 57 Jahren – Rsl) handelt.
MF: «My Parade»…, von welcher Parade sprichst du da?
Anders: Das ist eine sehr gute Frage, weil es ein sehr spezieller Song für mich ist und ich ihn ein bisschen vorausschauend schrieb. Ich bin ein Country-Fan und mag die eher moderneren Country-Lieder. Ich war in ein Projekt involviert, schrieb einige Tracks und versuchte eine Art klassische "oldschool" Ballade zu schreiben, wobei ich das Stück ein bisschen anders zu arrangieren versuchte, speziell was die Gitarren betraf. Die Beatles sollten ihren Einfluss auch gelten machen (grinst). Der Text beschäftigt sich damit, dass du deinem inneren Licht folgen sollst. Ab und zu kommst du von deinem Weg ab und begibst dich dabei in deine eigene Vergangenheit. Es ist ein sehr stolzer Song über die Band, mein Leben und mich. Über die Erkenntnis, dass mir niemand meinen Tag verderben kann, sondern ich meinen eigenen Weg gehen, meinen Gefühlen und meinem Herzen folgen muss. Es ist eine positive Ballade mit einem grossen Chorus. Ich mag die Geschichte im Text.
"...Die Musikwelt hatte sich in dieser Zeit völlig verändert, und man nahm uns kaum noch wahr..."
MF: Wieso hat euch euer Leadsänger Robert 1991 verlassen?
Anders: Grundsätzlich weil…, ich denke, es war ein Fehler uns zu verlassen. Er war nicht mehr glücklich mit dem, was sich zu diesem Zeitpunkt im Musikgeschäft abzeichnete. Das Grunge-Ding wurde populärer, und Robert wollte sich musikalisch nicht verändern. Ich stand unter einem sehr grossen Druck, die Band in ein völlig anderes Fahrwasser zu lenken. Dies wollte ich nicht unter dem Namen Treat machen und dachte daran, den Bandnamen zu ändern. Es gab keine Möglichkeit, die Marke Treat auf dem bewährten Weg zu halten. Wir konnten das Label nicht überzeugen und beschränkten uns in diesem Moment auf einen kleiner werdenden Markt. Robert tat das richtige, weil er sich mit dem plötzlich Wechsel, der in der Szene vonstatten ging, nicht wohl fühlte. Als er zurück kehrte, war er sehr motiviert und glücklich, dass es mit Treat wieder weiter ging. Wir arbeiteten damals an dem Album über zwei Jahre, von 1991 bis Ende 1992. Die Musikwelt hatte sich in dieser Zeit völlig verändert, und man nahm uns kaum noch wahr. Ich war zwar noch immer sehr glücklich mit Treat, aber der Moment war dann gekommen, dass wir uns für eine gewisse Zeit verabschiedeten. Wir benötigten diese Pause. 2005 war es dann sehr einfach mit den Bandmitgliedern über eine Reunion zu sprechen. Die Zeit war wieder reif für Treat. Wir wollten die Truppe erneut wegen der Musik und der Freundschaft unter uns aufleben lassen sowie wegen den Gründen, wieso wir die Band damals gründeten. Nicht um auf die Inputs von Managern zu hören, welche dir erzählen, was du zu tun hast, damit du überleben wirst. Ich ging zu den Plattenfirmen und fragte sie, ob sie uns unterstützen würden. Daraus ergab sich das Best-Of Album «Weapons Of Choice» mit den besten Liedern und drei neuen Tracks von uns. Es war wieder Zeit für uns, und so unterschrieben wir bei Universal. Dies war ein sehr wichtiger Schritt, um die Band wieder im Business zu etablieren.
MF: Welche Erinnerung hast du ans «Monsters Of Rock» Festival 1988?
Anders (grinsend): Es gibt eine Dokumentation darüber. Die wurde damals bei RTL ausgestrahlt, und darum erinnere ich mich sehr gut daran (grinst). Es gibt viele Fotos von diesem Event und ja, es war ein grossartiges Wochenende. Uns begleitete das schwedische National TV-Team. Das war verrückt, dass es zu dieser Berichterstattung kam. Ich sah viele Rockstars, und für uns als junge Band war das sehr aufregend. Später traf ich Steve Harris von Iron Maiden in Stockholm und sagte zu ihm: "Hey, ich bin Anders von Treat und wir haben euch beim «Monsters Of Rock» Festival begleitet" (lacht). "Oh ja, willst du ein Bier" (lachend) war seine Antwort. Es war unglaublich, was damals in Schweinfurt Backstage passierte. Wir sahen KISS…, und als wir mit unserer Show begannen, stand bei den Technikern ein Typ, also hinter der Backline. Das war David Lee Roth (lacht)! Er meinte später nur, dass er schauen wollte, wie viele Leute im Publikum sind (lautes Lachen). Tja, sowas passiert dir als junge Band nicht jeden Tag (lacht).
MF: Was war die schwierigste Zeit für dich?
Anders: Oh, was für eine tolle Frage (überlegt lange)…, das ist echt eine schwierige (überlegt weiter)…, die schwierigste Zeit…, lass mich überlegen. Gut…, ich denke nicht, dass es eine schwierige Zeit war, aber bin mir sicher…, jeder Besetzungswechsel in der Band war ein harter Moment. Nach der ersten Zeit mit Treat und der Auflösung hatte ich jedoch eine wirklich gute Zeit. In den späten Neunzigern war ich viel mit Songwriting und Produzieren beschäftigt. Das war ein sehr erfolgreiche Phase für eine lange Zeit. Ich riss mit sehr unterschiedlichen Künstlern so viel an wie ich konnte, bis zu unserer Reunion. Aktuell arbeite ich nur noch für Treat, weil dies meine eigene Wahl ist. Ich bin nicht dieser Typ, der achtzehn Stunden pro Tag im Studio sitzen will (lacht). Aber es entstanden wirklich viele gute Kollaborationen mit anderen Musikern. Ich mag diesen Teil des kreativen Arbeitens. Als ich jung war, hatte ich die dumme Haltungsweise, dass ich mit meiner Musik niemand anderen bezahlen wollte (grinst). Aber in den Achtzigern waren Plattenfirmen, respektive Manager da, um für uns zu arbeiteten, und die wollten dafür bezahlt werden. Vieles entwickelte sich anders, als ich mir dies vorstellte, und alle Truppen erlebten das Gleiche. Heute musst du sehr kreativ und fokussiert sein. Zudem bin ich heute in die Produktion unserer Videos und unserer Alben involviert. Somit in vielen Dingen, bei welchen ich früher keine Berührungspunkte hatte. Weil ich es damals nicht wollte und konnte. Wir tragen heute eine grössere Verantwortung als früher. Zudem kommen die ganzen Sozialen Medien dazu, die es zu betreuen gilt. Es hat sich, im Vergleich zu früher, sehr viel verändert, auch weil wir nicht mehr diese grossen Labels im Rücken haben.
MF: Anders, besten Dank für deine Zeit und das Interview sowie die grossartigen Alben seit «Scratch And Bite»…
Anders: …herzlichen Dank dir Martin…
MF: …und ich bin mir sicher, dass «The Endgame» eines der besten Alben ist, welches ihr bisher veröffentlicht habt.
Anders: Dies zu hören macht mich sehr glücklich und wärmt mein Herz (grinst). Es wird nicht einfacher, neue Ideen zum Leben zu erwecken. Es sind diese kleinen Dinge, welche aus einem Lied etwas Besonderes machen. Wenn ich sehe, dass dich unsere Tracks oder der Album-Titel ansprechen, dann haben wir vieles richtig gemacht. Speziell wenn du das Gefühl hast, dass wir etwas besser hingekriegt haben. Wenn du magst, lass uns noch nicht aufhören, denn es macht Spass, mit dir zu sprechen…