Swiss Hard Rock and Heavy Metal Magazine since 1999
You can reach us via email or phone.
+41 (0) 79 638-1021
11. November 2024, Pratteln - Z7
By Tinu
Dass die Kanadier Anvil nicht viele Leute ziehen würden, war leider zu befürchten. Dass es dann aber nicht einmal hundert Besucher wurden, bewies einmal mehr, dass die Qualität der sympathischen Metaller von der Masse noch immer nicht erkannt wird. Das Power-Trio bot den Anwesenden, die übrigens Lärm für tausend Leute machten, genau das, was man sich von Anvil erhoffte. Energiegeladenen Metal, der von der Power des Trommlers Robb Reiner ausgeht, mit den spielerischen Fähigkeiten von Bassist Chris Robertson gesegnet ist und den Fans durch Mastermind Steve "Lips" Kudlow mit seinen Storys und dem Anvil prägenden Gitarren-Spiel ein metallener Abend serviert wurde.
Quarterbrain
Ein glückliches Händchen war dem Amboss mit den Support-Bands nicht gerade beschert. Die Berliner Quarterbrain verunsicherten die Anwesenden offensichtlich mit ihrem abgespacten Hard Rock. Auch wenn es am Schluss einen warmen Höflichkeitsapplaus für das Trio zum Abschied absetzte, so konnte der "Free Jazz" mit Musical- und Rock-Anleihen wohl kaum jemanden hinter dem Ofen hervorlocken. Eine musikalische Linie oder einen roten Faden suchte man bei Quarterbrain vergebens. So vergingen die Minuten eher schlecht denn recht, und die Hoffnung, dass es mit Bowmen besser würde, nahm stetig zu.
Bowmen
Aber auch Bowmen wollten so gar nicht zu Anvil passen, sondern mussten sich mit ihrem an Uriah Heep erinnernden Sound (speziell die Chorgesänge von Trommler Christian Klaus liessen entsprechende Erinnerungen aufkommen) dem Publikum stellen. Auch wenn ihre Songs bedeutend erdiger, geradliniger und einfacher gestrickt waren, blieb der grosse "Wow-Effekt" aus. Markus Escher präsentierte sich, wie sein Vorgänger, mit einem Hut auf der Bühne und konnte dabei jedoch bessere Reaktionen des Publikums für die Band gewinnen. Als würden sie vor tausenden von Leuten spielen, so rockte das Quartett die Bühne. Bowmen trafen damit den Nerv der auf Anvil eingestellten Fans schon eher und konnten den Platz für den Headliner mit einem spürbar lauteren Applaus freimachen.
Anvil
"Pratteln! Are you having a good time? I have the time of my life" liess Lips das Publikum wissen und begab sich bereits zu den ersten Klängen des Instrumentals «March Of The Crabs» ins Publikum, um mit den Fans eine fette Metal-Party zu feiern. Die Anwesenden standen dicht um den singenden Gitarristen, zogen ihre Smartphones aus der Tasche und filmten den vor ihnen performenden Kanadier. Zurück auf der Bühne wurden die kommenden, etwas mehr als neunzig Minuten mit fünfzehn Songs gefüllt und mit jeweils einem Bass-, Drum- und Gitarren-Solo ergänzt. Speziell das Gitarren-Solo sorgte wieder für einen witzigen Moment, als Lips einen schwarzen Vibrator aus der Hosentasche zog und mit dem kleinen Verwöhngerät die gewohnte Show zelebrierte. Dazwischen erzählte der sich über die Reaktionen der Anwesenden sehr freuende Shouter Geschichten über Lemmy Kilmister. "The next song is for the mighty Lemmy Kilmister!" Während der Story, wie Lips den Motörhead Mainman kennenlernte, imitierte er immer wieder dessen Stimme.
Als Andenken an den Musiker wurde «Free As The Wind» gespielt, das in den Double-Bass Drum-Knaller «On Fire» überging. Ja, man konnte über die Setliste diskutieren. Aber auf der anderen Seite präsentierten die Jungs mit «Ooh Baby» und das für den kürzlich verstorbenen Dave Allison (Zitat: "Give him a warm applaus) intonierte «Jackhammer» Nummern, die schon lange nicht mehr im Set auftauchte. Neun der fünfzehn Lieder stammten von den ersten drei Studio-Scheiben. Nur gerade das schleppende «Truth Is Dying» vom sensationellen «One And Only» Werk, schaffte es ins aktuelle Set, das aufzeigte, welche Entwicklung die Jungs seit ihrem Debüt «Hard’n Heavy» hinter sich haben. Mit zwanzig Studio-Alben und 43 Jahren Angehörigkeit im Business wäre da durchaus noch der eine oder andere Hit mehr zu spielen gewesen. Doch auch so zogen die Jungs alle Register, bei denen Chris eher im Hintergrund blieb, heisst auf seinem Platz den Körper im Takt bewegte und das Feld lieber Lips überliess.
Dieser grinste wie ein Honigkuchenpferd über beide Ohren, genoss die Fans und liess sich zu Recht immer wieder abfeiern («Legal At Last»). Das bedrohliche «Forged In Fire» hat nach wie vor nichts von seinem Charme verloren, wie auch das swingende Instrumental «Swing Thing» mit einem grandiosen Solo von Robb, der mit seinem 66 Jahren einen sensationellen Job verrichtete (Lips ist 68 Jahre jung). Bei «Badass Rock'n'Roll» klatschte das Publikum mit, während es mit lauter Kehle den Refrain ins Z7 brüllte. Die grossen Hits sind und bleiben «Winged Assassins» und der Abschluss in Form von «Metal On Metal». Ein Groover, wie man ihn nur einmal im Leben schreibt. Das Trio wird sicherlich nie zu den Grossverdienern gehören, aber dafür legen Lips, Chris und Robb Abend für Abend einen grossartigen Job hin. Einen, der mit Hingabe und Leidenschaft vorgartragen wird und bei dem man die Passion und das Herzblut aus jeder Note und jedem Ton heraushört. Anerkennend feierten die Anwesenden mit den Jungs eine Metal-Party, die von traditionellen Klängen ebenso lebt, wie von schnellen Parts und den sich wie ein Tiger daherschleichenden Momenten.
Ich wünschte mir für die unermüdliche Leidenschaft der Musiker, dass ihnen mehr Fans folgen würden. Das hätten sie sich nach über einem halben Jahrhundert, sprich Robb und Lips begannen bereits 1973 gemeinsam Musik zu machen, damals noch unter dem Namen Lips, längstens verdient. Sie haben Klassiker geschrieben und sind heute besser denn je. Echt schade, dass dies nur die Wenigsten zu schätzen wissen. Auf der anderen Seite belegt es auch, dass es noch immer Musiker gibt, die für ihre Vision und ihren Traum leben, ohne dabei ein Krösus geworden zu sein. Allein dieser Enthusiasmus sollte eigentlich fürstlich belohnt werden und wird beim nächsten Gig in der Schweiz hoffentlich mehr Fans anziehen! So stieg Lips bei den letzten Akkorden von «Metal On Metal» nochmals von der Bühne herunter ins Publikum und bedankte sich mit den abschliessenden Worten "thank you Switzerland!" bei den enthusiastisch mitfeiernden Fans.
Setliste: «March Of The Crabs» - «666» - «Ooh Baby» - «Legal At Last» - «Truth Is Dying» - «Bad Ass Rock'n' Roll» - «Bass-Solo Chris Robertson / Winged Assassins» - «Free As The Wind» - «On Fire» - «Forged In Fire» - «Mothra / Guitar-Solo Lips mit Vibrator / Mothra» - «Bitch In The Box» - «Swing Thing / Drum Solo-Robb Reiner / Swing Thing» - «Jackhammer» - «Metal On Metal»