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14. Februar 2023, Dübendorf - The Hall
By Roger W.
Es war eines dieser Konzerte, an die man sich äusserst gerne zurück erinnert, wobei das bei mir, in Zusammenhang mit Auftritten von Dream Theater, eigentlich immer der Fall ist. Als Vorband hinterliessen die finnischen Symphonic Power Metaller Arion mit ihrer halben Stunde einen durchaus soliden und sympathischen Eindruck. Allerdings gab es da für mich eine undiskutable wie grosse Schwäche anzukreiden.
Arion
Der Wermutstropfen war bei den finnischen Symphonic Power Metallern leider trotz grossem Potenzial gross und deshalb nachhaltig. Bei mir liegt das vor allem am massiven Einsatz von Playback-Parts. Nein, das ist kein Metal! Vor allem dann nicht, wenn man eine Frauen-Leadstimme im Refrain hört, die gar das letzte der gespielten Lieder prominent eröffnete, ohne dass die entsprechende Dame vor Ort war. Diese Unart schmälerte bei mir den an sich positiven Eindruck der Finnen stark. Und nochmals: Auf CD dürfen die Lieder durchaus anders klingen als live! Denn als Kompensation zu perfekt gespielten Songs sieht man die Band leibhaftig vor sich auf der Bühne stehen und wird dabei optisch sowieso ein wenig von der Musik abgelenkt. Gerade diesbezüglich haben Arion einiges zu bieten. Die Band wirkte in Dübendorf motiviert, interagierte und lebte tatsächlich ihren Traum, wie es Sänger Lassi Vääränen bei einer Aussage ausdrückte. Keyboarder Arttu Vauhkonen war im Zentrum der Bühne aufgestellt und suchte immer wieder den Kontakt zum Publikum oder zum Schlagzeuger, wenn er mal nicht spielen musste. Das Songwriting ist hochklassig und lässt sich mehr als hören. Als Vorband von Dream Theater sorgten sie für eine willkommene wie stilistische Abwechslung, indem man nicht bereits an dieser Stelle völlig "zugeproggt" wurde. Auch sympathisch, wie die Band nach dem Konzert dem musikalisch erschöpften Dream Theater Publikum kleine Give-aways mit auf den Nachhauseweg gab. So wird der Bandname Arion bestimmt noch in manchen Haushalten auftauchen – und deshalb nicht nur den ersten Reihen in guter Erinnerung bleiben, welche die Finnen aus Helsinki, Uusimaa zu früher Stunde vor dem Hauptprogramm ordentlich abgefeiert hatten.
Setliste: «The End Of The Fall (Intro)» - «No One Stands In My Way» - «I'm Here To Save You» - «Punish You» - «Unforgivable» - «Bloodline» - «At The Break Of Dawn
Dream Theater
Ein ganz anderes Kaliber als Arion waren danach Dream Theater. Exakt drei Jahre vor diesem Konzert sorgten die Amerikaner am selben Ort bereits für offene Münder und Schwelgereien. Damals kursierten bereits erste Nachrichten über ein kleines Virus, das die Welt und auch die Schweiz bald für einige Zeit intensiv beschäftigen sollte. Damals präsentieren die Prog-Götter Ausschnitte aus dem aktuellen Album «Distant Over Time», plus nach einer Pause, das gesamte legendäre «Scenes From A Memory» Konzept-Werk, inklusive den "Welthit" «The Spirit Carries On». Fast drei Stunden nahm man sich Zeit dafür. Drei Jahre später, wieder am Valentinstag, war die Welt eine andere und die Dream Theaters Diskographie um ein Live- und ein Studio-Album reicher. Zwei Stunden mussten diesmal reichen, und diese nutzten die amerikanischen Prog-Ikonen vorbildlich, in dem sie kein einziges Lied von der 2020er-Show spielten. Wo andere Bands dafür gesteinigt würden, wenn sie von zwölf Liedern nicht zwingend die immer mindestens zehn gleichen Stücke zum Besten geben, kümmert dies das Dream Theater Publikum herzlich wenig. Dazu ist der Liederkatalog einfach zu gross und zu genial. Als Prog-Band ziehen sie auch nicht ein oberflächlich denkendes Poppublikum an, das nur auf den schnellen Kick aus ist. Bei Dream Theater geht es um etwas anderes, nämlich um musikalische Klasse, grosse Melodien, Können an den Instrumenten, vertrackte Rhythmen, die in den schönsten Gitarren- und Klavier-Soli aufgehen und das Errichten von wahren Sound-Kathedralen, um sie anschliessend gleich wieder nieder zu reissen.
Im Zentrum stand das letztjährige und aktuelle Werk «A View From The Top Of The World» mit vier Tracks. Dieses bildete auch gleich den Anfang und das Ende des regulären Sets. Daneben berücksichtigten die Amerikaner ihr Drittwerk «Awake» mit «6:00» und «Caught In A Web». Vor einem Auszug aus dem fast dreiviertelstündigen «Six Degrees Of Inner Turbulence» erwähnte Sänger James LaBrie, dass dieses Opus von vielen Fans geliebt wird – und traf dabei beim Schreiberling genau den richtigen Nerv. Wie oft bin ich bereits in dieses Konzept-Stück eingetaucht. In Zürich gab es nun die letzte Viertelstunde davon zu hören. Etwas, was sich eigentlich nicht gehört, aber bei "nur" zwei Stunden Konzert durchaus Sinn macht. Dream Theater hatten das Publikum im Griff, auch wenn die Interaktionen eher zurückhaltend ausfielen und sich auf ein paar Mitklatsch-Parts (in einfachen Teilen) sowie Hände-Wedeln beschränkten. Die Amerikaner sprachen dafür mit ihrer Musik umso mehr wie direkt die Herzen der Zuhörer an – und sich gegenseitig. Denn auch Interaktionen zwischen den Bandmitgliedern waren selten. Wer aber genau hinsah, entdeckte immer wieder ein Lächeln, welches bei Keyboarder Jordan Rudess und Schlagzeuger Mike Mangini gut, bei Bassist John Myung aufgrund seines "Haarvorhangs" und bei Gitarrist John Petrucci wegen seinem mächtigen Bart gar nicht zu sehen war. Zusammen versetzten die Klangkünstler das Publikum in einen stillen, nicht nach aussen getragenen Rausch, bei dem die Zeit schlicht zu schnell vorbei ging. Der 20-minütige Titelsong des neuen Studio-Werkes bildete einen würdigen Abschluss des regulären Sets. Nach einer kurzen Pause türmte man mit dem ebenfalls fast 20-minütigen «The Count Of Tuscany» nochmals mächtige Soundwände und hymnenhafte Melodien auf, bevor alle glücklich, aber erschlagen von dannen zogen.
Es war ein Konzert zum Eintauchen – und eines für die Ewigkeit. Die einzige Frage bleibt, wieso gerade zwei so extrem lange Songs zum Schluss des Sets auftauchen mussten. Würde es nicht mehr Sinn machen, das Ganze mit dem Titelsong des neuen Albums zu eröffnen? Eine negative Konstante an Dream Theater Konzerten und somit ein ständiges Ärgernis bilden die Preise für T-Shirts, Hoodies und anderes. Diese sind mit fünfzig Franken für ein T-Shirt schlicht zu hoch. Wobei sie im Dream Theater Universum sogar heute etwas günstiger geworden sind, heisst die Band macht die Teuerung offenbar nicht mit und verlangt seit bald zwei Jahrzehnten stets gleich viel. Die Teuerung mitgemacht haben dagegen die Ticketpreise. Diese sorgten mit 90 bis 115 Franken wohl dafür, dass sich nur rund 1'800 Fans auf den Weg nach Dübendorf gemacht hatten. Zumindest aus meinem Umfeld wären einige Personen mehr gekommen, wenn diese Preise um zehn bis zwanzig Franken tiefer gewesen wären. Und damit blieb trotz der genialen, musikalischen Grossleistung ein ganz kleiner Kloss im Hals stecken. Dieser löste sich jedoch bald wieder auf und verschwand dann aufgrund der grandiosen, musikalischen Darbietung schnell im Gedächtnis. Es war schlicht umwerfend!
Setliste: «The Alien», «6:00» - «Sleeping Giant» - «Bridges In The Sky» - «Caught In A Web» - «Answering The Call» - «Solitary Shell» - «About To Crash (Reprise)» - «Losing Time/Grand Finale» - «Pull Me Under» - «A View From Top Of The World» - «The Count Of Tuscany»