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02. November 2022, Luzern – Schüür
Text & Pics by Oliver H.
Als wäre es schon fast Standard, verpasse ich bei mehreren Bands und frühabendlichem Konzertbeginn oft die ersten Anheizer. Manchmal ist das zu verkraften, aber im Fall von Horizon Ignited war es eine echte Enttäuschung, denn über den melodischen Death Metal aus Finnland hätte ich mich sehr gefreut. Tja, immer diese Prioritäten. Noch mehr geärgert hätte mich allerdings, wenn ich die Hauptband des Abends verpasst hätte. Hypocrisy gehören nämlich seit meiner Jugend zu einem festen musikalischen Bestandteil. The Agonist habe ich seit dem Abgang von Alissa White-Gluz aus der Hörweite verloren und Septicflesh flogen bis dato unter meinem Radar. Ein Abend also, der sich voller Überraschungen und Premieren zeigte.
The Agonist
Als die Lichter gedämpft wurden und die Band auf die beengte Bühne stürmte, warfen sie sich mit viel Elan ins Set. Vicky Psarakis führte die Offensive mit Kraft und Leidenschaft an, spuckte ihren Gesang mit Entschlossenheit aus. Jedes Wort wurde mit kreischender Power oder zarter Schönheit vorgetragen, unterstützt von komplizierter Streicherarbeit von Danny Marino und Pascal Jobin sowie kräftigen Basslinien vom Griffbrett von Chris Kells. «Orphans» und «Days Before The World Wept» blieben mir im Gedächtnis, da sie völlig punktgenau einschlugen. Die Band interagierte ständig mit der erstaunlich spärlichen Menge, um eine Art Bewegung herauf zu beschwören, was teilweise mit einer Handvoll engagierter Anhänger vorne und in der Mitte erfolgreich funktionierte. Als die Band sich verabschiedete, war offensichtlich, dass dem Publikum gefiel, was es serviert bekam. Vielleicht werden die Kanadier das nächste Mal, wenn sie unsere Lande erneut betreten, mehr Personen anziehen, mit denen sie ihr Handwerk teilen können. Während der Umbaupause schoss mir noch der Gedanke durch den Kopf, dass es doch irgendwie ironisch ist, dass White-Gluz nun Stadien füllt und ihre ehemaligen Bandkollegen wie Mitbegründer noch auf Clubbühnen herum tingeln..., Schicksal eben.
Septicflesh
Als Nächstes gab es Hellenic Death Metal auf höchstem Niveau und eine Band, die mich ab Platte nie fesseln konnte. Septicflesh überschwemmten die winzige Bühne mit einem Backdrop und zwei Sidedrops, was den griechischen Death Metal Veteranen noch weniger Freiheit liess, um zu dominieren. Als Spiros Antoniou und seine Hinterleute auf die Bühne kamen, brach die Hölle los. «Portrait Of A Headless Man» wurde aufs Publikum losgelassen und entfesselte massig Energie mit Kraft und Präzision, Brutalität wie Gewalt. Der Sound, den sie durch die Lautsprecher-Türme erzeugten, war immens und wild, die Vocals, die Spiros ausspuckte, waren dominant wie kraftvoll, mächtig und beeindruckend. Ab Mitte des Sets allerdings auch viel zu laut, denn wenn die ansonsten festsitzenden Zähne im Mund zu wackeln beginnen, ist der Zenit eindeutig überschritten. Das Konzert ging aber unbeirrt weiter, Tatsachen schaffend mit Titeln wie «Neuromancer», «The Vampire From Nazareth» oder «Communion». Das Publikum erwiderte diesen griechischen Oberherren die ständige musikalische Wertschätzung, die von der Bühne kam, in höchstem Masse und schätzte jeden einzelnen Akkord wie Schlag eines jeden Songs. Mich irritierte allerdings der Umstand, dass die Saitenfraktion nach jedem Song hinter den Sidedrops verschwand, um mit einem "my friends…" wieder ans Mikro und vor die Leute zu treten. Griechische Halbgötter eben, aber der Erfolg gab ihnen an diesem Abend schlichtweg recht, und es ist eigentlich erstaunlich, dass sie mit dieser glaubhaften Darbietung nicht grössere Veranstaltungsorte füllen. Die Show, die sie orchestrierten, war eine Wucht, aber wirklich so laut, dass sogar eingefleischte Septiker von Einheitsbrei sprachen, als man sich wieder bei Zimmerlautstärke unterhalten konnte. Dies war der einzige Wermutstropfen, ansonsten haben mich die Griechen wirklich überzeugt.
Hypocrisy
Die Bühne wurde dann nochmals kurz umgebaut und ein beeindruckender Drum-Riser vor einer imposanten Kulisse enthüllt, was sehr zur Vorfreude auf die legendären Death Metal Veteranen beitrug. Als Peter Tägtgren mit seinen Mitstreitern von Hypocrisy an seiner Seite die Bühne betrat, drohten die Grenzen der Schüür aufzubrechen, obwohl der Laden noch immer nicht bis zuhinterst gefüllt war. Das Set wurde um eine robuste Sammlung aus der umfassenden Hypocrisy-Geschichte herum aufgebaut, die das Publikum gleich in Stücke reissen sollte. Ein brutales «Worship» eröffnete den Reigen und gab sogleich den Ton für den Rest des Abends an, um den herum gebaut wurde. «Chemical Whore» war absolut umwerfend, ebenso wie das beeindruckende «Eraser» und das bösartige «End Of Disclosure». Die musikalische Partitur war absolut perfekt, makellos und hypnotisierend in ihrer Darbietung. Jeder Track war dominierend und gebieterisch, schroff wie giftig und doch schön in seiner Komposition wie Kreation. Tägtgrens Mimik sprach Bände, und er liess sich mehrmals auf Spielchen mit seinem Live-Gitarristen Tomas Elofsson ein. Als sich die Band mit «Roswell 47» verabschiedete, war jedem Anwesenden klar, dass der Abend eine wirklich schlagende Darbietung von brutal feinstem Death Metal gewesen war. Ein Lehrstück todesmetallischer Geschichte sozusagen. Es war und ist mir immer noch ein Rätsel, warum der Veranstaltungsort in Luzern für diese Lektion in Death Metal nicht aus allen Nähten platzte.
Setliste: «Worship» - «Fire In The Sky» - «Mind Corruption» - «Eraser» - «Inferior Devoties» - «Chemical Whore» - «Until The End» - «Don't Judge Me» - «End Of Disclosure» - «Weed Out The Week» - «Children Of The Gray» - «Warpath» - «Final Chapter» - «Fractured Millenium» - «Impotent God» - «Adjusting The Sun» - «Roswell 47»