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06. Mai 2023, Zürich - Hallenstadion
By Tinu - Pics by Rockslave
Totgesagte leben bekanntlich länger, und wer kann es Krokus verübeln, dass sie im Alter noch ein bisschen Geld verdienen wollen? Und wie hat Chris von Rohr am Ende des Konzerts so schön gesagt? Sie werden wieder kommen, nämlich ans "Riverside Festival" in Aarburg, Ende August. Dies aus dem einfachen Grund, weil sie nicht anders können, aber ihr Auftritt war definitiv anders als der "absolute Schlusspunkt" am 7. Dezember 2019 an derselben Stätte. Kein "Adios Amigos", sondern eine Wiederbelebung der Band, die nach wie vor die erfolgreichste auf internationaler Ebene in der schweizerischen Musiklandschaft ist. Es war anders, und das lag nicht daran, dass Krokus nicht von den 8'000 Fans gefeiert wurden. Ganz im Gegenteil, die Band ist längst ein zu grosser Selbstläufer geworden. Es lag vielmehr daran, dass die Jungs an diesem Abend nicht diese Einheit auf der Bühne darstellten, die sie normalerweise sind. Dazu aber später mehr...
BBR
Die Band um Comedian Manu Burkhart (Duo Divertimento) hatte zum Auftakt an diesem Abend die schöne Aufgabe gefasst, vor den beiden Legenden aufzutreten. "Wir wissen nicht, wieso die edlen Herren von Krokus und Uriah Heep uns als Rumpel-Band eingeladen haben?" Dies war in der Tat eine gute Frage, und wenn nicht gerade der eigene Fanclub für Stimmung sorgte, blieb es teilweise sehr still im Hallenstadion. Das änderte sich erst mit zunehmender Spielzeit, die die Jungs um Sänger und Energiebündel Marc Reichen (was hat der Typ Hummeln im Hintern!) bestens nutzten und mit ihren Cover-Songs Aufmerksamkeit erregten. Mit "Rock'n'Roll" von Motörhead schien das Eis zum ersten Mal zu brechen, und Manu konnte sich nicht nur als guter Gitarrist profilieren, sondern auch als geborene Rampensau. Dass Schlagzeuger René Walder an diesem Abend zudem seinen 61. Geburtstag feiern konnte, war eine fette Geburtstags-Party oben drauf. BBR (Buddies, Beer And Rock'n'Roll) erfüllten ihre Aufgabe mehr als nur gut und hinterliessen eine ordentlich angeheizte Meute im Hallenstadion. Die Dankbarkeit und Freude, von der Marc immer wieder berichtete, kam von Herzen, und mit Simona Lüthi präsentierte das Quintett eine stimmgewaltige Lady, die bei "Nutbush City Limits" (Ike & Tina Turner Cover) und "Whole Lotta Rosie" (AC/DC Cover) unterstützend mitsang.
Uriah Heep
Nach wild, aggressiv und unbändig kamen Uriah Heep smart, clever und mit viel Rock'n'Roll auf die Bühne. Mit grossen Buchstaben und Zahlen war auf dem mächtigen Backdrop "Uriah50Heep" zu lesen. Ja, die Briten stehen inzwischen seit mehr als einem halben Jahrhundert auf der Bühne, verfügen aber noch immer über genügend Spass und Energie, um jede Stage zu rocken, was Sänger Bernie Shaw spasseshalber zu folgender Ansage verleiten liess: "This is not the Volkshaus, where the hell are we?", und somit zum Ausdruck brachte, dass ihr letztes Konzert eben dort über die Bühne ging, vor bedeutend weniger Publikum, die Location aber eigentlich ja "sold out" war . Er war der Alleinunterhalter, der auch immer wieder mit Ansagen auf Deutsch sehr sympathisch rüber kam und gesanglich nichts anbrennen liess. Wie auch Bandgründer Mick Box, der mit seinen weissen und langen Haaren noch immer Wundervolles aus seinen Händen auf das Griffbrett seiner Gitarre zu zaubern vermochte.
Immer wieder ein Hingucker, wenn auch seit Jahrzehnten bekannt, sind seine fliegenden Finger beim Solieren, während die andere Hand magische Rituale in die Luft schwingt. Unglaublich auch die Rhythmusmaschine mit Dave Rimmer (wird seinem Vorgänger Trevor Bolder in der Spielweise immer ähnlicher) und Russel Gilbrook, der mit seiner Dynamik nicht zu übertreffen ist und dabei immer wieder von seinem Drumhocker auf- und abhüpfte. Musikalisch versuchten die Jungs, so gut es ging, fünf Jahrzehnte in eine Stunde zu verpacken und zogen dabei mit «Too Scared To Run» einen längst vergessenen Hasen, ähh…, sorry…, Song aus dem Hut. Auch «Traveler In Time» und «The Hanging Tree» boten echte Überraschungen, die gleich zu Beginn des Konzertes gespielt wurden. Dann tauchten die Rock-Icons mit ihrem flinken Keyboarder Phil Lanzon in die grossen Hits ein. «Stealin'» liess das Hallenstadion lautstark mitklatschen.
Die Anfeuerung "alle zusammen!" von Bernie hätte es dabei nicht mal gebraucht, denn Zürich stand so oder so Kopf und liess sich gerne auf eine Zeitreise mitnehmen, die sich gewaschen hatte. Das grossartige «Gypsy» sowie kultige «July Morning» sorgten für eine ausgelassene Stimmung. So klingen Evergreens die alle kennen und auf die man sich freut, sie wieder zu hören. Die positive und überwältigende Stimmung, die von der Bühne direkt ins Publikum wanderte, hatte es in sich. "8'000 People, wollt ihr alle mit mir singen?" Was für eine Frage, denn jetzt konnte nur eine Nummer kommen. "She came to me one morning..." verwandelte das Hallenstadion in ein überschäumendes Festzelt! «Lady In Black» war an diesem Abend die Nummer, auf die alle gewartet hatten, und alle, wirklich alle, sangen mit. War es der Text oder bloss das "ahh-ah-ahh-aah-ahhhhh-ah-ah-ah"?
"This is the man who put the band together for 53 years and he still rock it", begrüsste Bernie seinen Freund Mick an der Gitarre. Ja, Rock'n'Roll scheint die Menschen am Leben wie jung zu erhalten. Überraschenderweise war es aber nicht die "Frau in Schwarz", die den Schlusspunkt des Auftritts setzte, sondern «Sunrise» und «Easy Livin'». Es war ein begeisterndes Konzert einer grossartig aufspielenden Band, die als nächstes vom Haupt-Act zuerst mal übertroffen werden musste. Denn obwohl Uriah Heep derzeit, sprich offiziell gar nicht auf Tour sind, trat die Truppe einerseits als Bollwerk und andererseits wie ein eingespieltes Schweizer Uhrwerk auf.
Setliste: «Intro» - «Against The Odds» - «The Hanging Tree» - «Traveller in Time» - «Too Scared To Run» - «Stealin'» - «Gypsy» - «July Morning» - «Lady in Black» -- «Sunrise» - «Easy Livin'» - «Outro»
Krokus
Etwas, das man während des Auftritts von Krokus nicht immer behaupten konnte. Die sonst eingespielte Tightness fehlte immer wieder, und man merkte den Jungs an, dass ihnen, ausser den beiden Gigs die sie kurz zuvor in Deutschland gespielt hatten, die entsprechend gemeinsame Routine (noch) fehlte. Also, was taten die ehemaligen "Kings of Rock" nach diesem fulminanten Auftritt der Heepster? Sie eröffneten das Konzert mit dem Instrumentalstück «White Din», um dann direkt mit dem Überhit «Headhunter» einzusteigen. Dieser Song fehlte leider beim Abschlusskonzert. Ein grossartiger Einstieg, dachte ich zumindest, aber der Sound war zu unsauber, sodass man den Song nicht gleich zu Beginn erkannte. Marc Storace stieg jedoch mit einem knochenzertrümmernden Schrei in das Set ein und liess gleich erkennen, dass er immer noch Spitzenleistungen erbringen kann.
Das grosse Plus an diesem Abend, und das spielte den Solothunern gewaltig in die Karten, waren die Pyros und die Papierschlangen, die den Auftritt nachhaltig untermalten. Ebenso wie die Filme, die auf den Video-Screens liefen. Bei «Headhunter» war es der in Flammen stehende Schädel, den man vom Plattencover her kennt. Nahtlos ging mein Lieblingslied von Krokus in den Knaller «Long Stick Goes Boom» über, dem mit den erwähnten Pyros und der glitzernden Papierwolke noch mehr Power verliehen wurde. Das Gitarren-Duo Fernando von Arb und Mark Kohler spielte sich die Riffs auf der linken Bühnenseite mit unglaublicher Sicherheit zu. Hier merkte man, dass die beiden bei Bad Ass Romance immer wieder die alten Krokus-Hits spielen. Mandy Meyer spielte sich derweil in einen solistischen Rausch, überliess Fernando letztlich aber viele Solo-Parts, der seine Leads mit unglaublicher Sicherheit zockte und sie mit einem frechen Grinsen im Gesicht präsentierte.
"Seid ihr bereit für etwas verrückten Rock'n'Roll?" Und wie Zürich an diesem Abend darauf abfuhr! Das anschliessende «American Woman» wurde von lautem Fanjubel begleitet und endete, wie man es kennt, mit einem grossartigen Schrei von Marc. Auch cool waren die auf dem Video-Bildschirm gezeigten Schweizer- und Amerika-Flaggen. Danach trat Bassist Chris von Rohr ans Mikrofon: "Schön, dass ihr hier seid..., wow! Ein Song über das Durchhaltevermögen, «Winning Man». In meinen Augen ist dies der zweitbeste Song von Krokus, der jedes Mal Gänsehaut erzeugt, besonders wenn Flavio das Tempo erhöht und alles in einem grossartigen Rocker endet. Der Krokus-Schädel mit Flügeln, der am Ende in Flammen steht, trug zum perfekten Gelingen des Songs bei. Ja, die alten Herren rocken immer noch. Zweifellos, aber im Vergleich zu Uriah Heep merkte man dem Sextett an, dass ihnen das sonst routinierte Zusammenspiel fehlte, da sie längere Zeit nicht mehr gemeinsam auf der Bühne gestanden hatten.
Das schien dem Publikum jedoch völlig egal zu sein. Die Setliste war auch, je länger das Konzert dauerte, sehr auf die anwesenden Leute zugeschnitten, heisst sie bekamen, was sie wollten. Dass dabei der Killer-Track «Let It Go» vom Album «Heart Attack» (1988) fehlte (den sie bei den beiden Deutschland-Gigs noch spielten), fand ich sehr schade. Dafür wurden fünf Songs vom Hit-Album «Metal Rendez-Vous» ausgepackt, was die Zürcher völlig aus dem Häuschen brachte. Es war definitiv ein Set, der beim Publikum gut ankam, und das Stimmungs-Barometer bewies auch, dass es die richtige Entscheidung war. Ich persönlich hatte jedoch gehofft, noch den einen oder anderen Track geniessen zu können, den man momentan lediglich von Bad Ass Romance zu hören kriegt. Aber das ist Jammern auf sehr hohem Niveau.
Die Jungs spielten ihre grossen Hits wie "Hellraiser" (die Fans sangen geschlossen mit der Band zusammen), «Tokyo Nights» (wurde vom Publikum fast ekstatisch abgefeiert), «Hoodoo Woman» (wurde lautstark mitgesungen), «Fire», «Easy Rocker», die Killer-Ballade «Screaming In The Night» sowie «Back Seat Rock'n'Roll» und «Bedside Radio», die erneut als Abschluss dienten. Als bei «Dirty Dynamite» ein besonderer Gast angekündigt wurde, dachte ich zuerst noch, dass womöglich Mark Fox von Shakra auf die Bühne kommen würde. Meine Vermutung oder Hoffnung wurde jedoch schnell zerschlagen. Entschuldigung Jungs, aber warum Gölä? So sehr die Schweizer Fans ihn auch lieben wie mögen, aber was er auf eurer Bühne verloren hat, muss irgendwann in einem Interview geklärt werden.
Dass Gölä gesanglich, im Vergleich zu Marc, ziemlich zurück stehen musste, bewiesen die paar Zeilen, die er sang…, aber dafür waren «Eat The Rich» ("this ain't no love song!"), das feurige «Heatstrokes» (inklusive einem Drum-Solo von Flavio Mezzodi) und die Neil Young Cover-Version von «Rocking In The Free World» erneut Granaten, die sofort zündeten und das Hallenstadion in ein singendes und klatschendes Meer verwandelten. Dieser grossartige Abend sollte jedoch nach wie vor nicht der Schlusspunkt von Krokus sein, wie Chris nach dem Gig verlauten liess. "Mir chöis nid lo sii!", und darum spielen die Jungs bald auf dem "Riverside Festival" in Aarburg. Sie werden dort definitiv eine Bereicherung sein und hoffentlich auch wieder als Mannschaft an den Gig vom 7. Dezember 2019 anknüpfen können.
Setliste: «Intro White Din» - «Headhunter» - «Long Stick Goes Boom» - «American Woman» - «Winning Man» - «Hellraiser» - «Tokyo Nights» - «Hardrocking Man» - «Hoodoo Woman» - «Eat The Rich» - «Fire» - «Rockin' In The Free World» - «Easy Rocker» - «Heatstrokes (inklusive Drum-Solo Flavio Mezzodi)» -- «Screaming In The Night» - «Dirty Dynamite (mit Guest Gölä)» -- «Back Seat Rock'n'Roll» - «Bedside Radio»