Swiss Hard Rock and Heavy Metal Magazine since 1999
You can reach us via email or phone.
+41 (0) 79 638-1021
Phil Anselmo & The Illegals - King Parrot
„A VULGAR DISPLAY OF PANTERA“
9. April 2021, Live-Stream
Text by Oliver Heldstab & Pics by Housecore Records
Seit dem Jahr 2003 gehören die Groove-Götter Pantera, in der Musikwelt, der Vergangenheit an. Viele Jahre hofften die Fans, dass sich der Vierer doch noch einmal zusammenreisst, aber vergebens. Mit dem Tod von Gitarren-Legende Darrel „Dimebag“ Abbott (2004) starb nicht nur ein Ausnahmemusiker sondern auch ein grosses Stück Hoffnung. Durch das Ableben von Dimebags’s Bruder Vinnie Paul Abbot (2018) erlosch schliesslich der letzte Funken Hoffnung auf ein Revival. Umso erfreulicher war die Nachricht in den sozialen Medien, dass Phil Anselmo mit seinen „Illegalen“ einen Live-Stream-Auftritt im Namen von Pantera plant. Diese Neuigkeit liess die Herzen der Fans umso höher schlagen. Gespannt auf des Meisters Auftritt, dessen Lorbeeren die letzten Jahre etwas welk geworden waren, zählte ich schliesslich am Bildschirm die Zeit rückwärts. Begleitet wurde die Szenerie von Schweinen und Hühnern, die gemütlich Essbares in sich reindrückten. Das Gefühl, als die ersten Takte von der Bühne hallten, war nach all dieser Zeit schlichtweg berauschend.
King Parrot
Den Anfang machten allerdings King Parrot. Eine australische Grindcore- und Sludge-Metal-Band, die allen Befürchtungen zum Trotz, die Tiere aus dem Vorspann am Leben liessen. Zusammengepfercht in ihrem Proberaum, so sah es zumindest aus, gaben sie während 20 Minuten ein paar Songs als Einstimmung zum Besten. Mal etwas ruhiger und dann erneut ultraschnell, schepperten die Australier genüsslich die Bude zusammen. Die Truppe lernte Anselmo auf einer USA-Tour kennen, als er sie für seinen YouTube-Channel „Housecore Records“ interviewte. Kurz darauf war Anselmo in King Parrot’s Musikvideo „Like A Rat“ zu sehen. Jedenfalls hatte der Einstieg grossen Unterhaltungswert und zog sich auch zeitlich nicht unnötig in die Länge. Zeitgleich als die Jungs wüteten, lief eingeblendet der Countdown langsam rückwärts auf den Hauptact des Abends zu. Die Spannung stieg kontinuierlich und ich war wirklich froh, als die „Parrots“ einen Schlusstoast aussprachen und die Szenerie umschwenkte…
Phil Anselmo & The Illegals
Gerade einmal 50 auserlesene Personen durften vor der Bühne Platz nehmen und dem Spektakel, das sich eingefleischte Pantera-Fans seit Jahren wünschen, live und ungewohnt nahe beiwohnen. Auch ich gehöre zu denjenigen, und ich muss schon ein wenig neidvoll eingestehen, dass ich gerne dort gestanden hätte. Das letzte Mal muss 1994 gewesen sein, als der Vierer sich die Ehre im freiburgischen „Fri-Son“ gab. Seitdem gab es nie mehr die Gelegenheit, das Power-Quartett in Aktion zu erleben. Fast 30 Jahre später kam nun der grosse Moment. Unter dem Namen „A Vulgar Display Of Pantera“ waren bereits einige Daten für den Sommer 2021 ausgeschrieben, die jedoch aus allgemein bekannten Gründen gecancelt werden mussten. Wie so oft in diesem Jahr, war die Kreativität der Musiker gefragt und vor einem Monat gab das einstige Aushängeschild und Mitbegründer der Band, Phil Anselmo mit seinen „Illegals“ diesen virtuellen Anlass bekannt. Da musste ich dabei sein! Zugegeben, die Uhrzeit, zu der das Konzert in Europa übertragen wurde, war nicht gerade einladend aber was tut man nicht alles, um nach Monaten der Konzert-Dürre wieder einmal einen Hauch der so vermissten Atmosphäre atmen zu können. So sass ich 01:15 Uhr vor dem Schirm und loggte mich ins Konzert ein. Klingt echt ätzend, sich ins Konzert „einloggen“. Der Aufwand hat sich aber gelohnt, denn während 90 Minuten gaben die sechs Musiker eine „Best Of“-Pantera-Sause zum Besten, die sich gewaschen hatte. Zur Crew des Abends gehörte der Master, Phil Anselmo himself, Lead-Gitarrist Mike DeLeon, zweiter Axtschwinger Stephen Taylor, Tieftöner Derek Engemann, Küchenchef Joey Gonzalez und schliesslich noch ein mir unbekannter Mann an den Tasten. Schon fast ein wenig melancholisch startete der Abend mit „Suicide Note, Pt.1“ rein akustisch gespielt, mit einem 12-Saiter und Keyboard, dazu ein paar Bildern im Hintergrund, die Pantera in jungen Jahren und auf dem Gipfel ihres Erfolges zeigten. Das anschliessende Backdrop, das Anselmos Schädel zeigte, umrandet mit den Grossbuchstaben „P“ und „A“, bildete eine Symbiose zwischen Anselmo’s Illegals und Pantera. Es sah cool verdammt aus! Dann folgte mit „A New LeveL“ der erste Hammer, der zugleich von Anselmo kurz nach Beginn abgebrochen wurde, da er mit der Lautstärke der Gitarren und des Basses nicht zufrieden war. Man kennt ja inzwischen die Mätzchen und Ausfälle des Amerikaners bestens aber in diesem Fall war seine Intervention berechtigt. Im Anschluss war die Qualität top, der Stream verlief reibungslos und entfaltete seine ganze geballte Power! „Mouth For War“ und „Becoming“ brachten die Meute auf die richtige Betriebstemperatur, wie man den durchratternden Live-Posts in der rechten Bildschirmhälfte entnehmen konnte. Auch die Band gab alles. Während Phil stets nackten Fusses das Set bestritt, huldigten die restlichen Musiker ihrem (Label-) Chef, indem sie uniformmässig das „Housecore-Records“-Shirt trugen. Nur Gitarrist Mike DeLeon fiel mit seinem knallig morbiden Cannibal Corpse-Fetzen aus dem Rahmen. Er durfte es sich auch leisten, denn der optisch nahe an Dimebag herankommende Klampfer gab bei jedem Song 100% und veredelte jedes der kultigen Stücke. An dieser Stelle muss kurz erwähnt werden, dass die zweite Gitarre dem Pantera-Sound mehr als gut zu Gesicht steht, denn dadurch entsteht noch mehr Energie und der Sound klingt viel voller. Auch allen, die Anselmo einen Verräter nennen, da Pantera nur echt mit Dimebag & Co. sind, sei gesagt – Bullshit! Dimebag und Vinnie in allen Ehren, aber ich bin mir sicher, wenn sie diesen Gig, von dort wo sie auch immer sein mögen miterlebt haben, sie hätten sich nichts sehnlichster gewünscht als das. Nämlich dass ihre Songs wieder gespielt werden und die Fans zu Durchdrehen bringen.
Anselmo selbst ist noch immer unbestritten eine Galionsfigur, die imposant und in seinem Gesichtsausdruck stark wie eh und je daherkommt. Sein Blick stets starr ins Publikum oder an die Decke gerichtet und dazu nervös einen Kaugummi malträtierend. Nach „I’m Broken“ brachte er sogar schmunzelnd eine lockere Entschuldigung über die Lippen, da er angeblich einen Part versemmelt hat. Das machte die ganze Sache aber sehr sympathisch und liess den Stream noch echter, noch mehr als Live-Gig wirken. Es war nicht durchgeprobt und glattgebügelt. Im Anschluss daran eine Hymne, die an alle Hardcore-Pantera-Fans gerichtet war. „Strenght Beyond Strenght“ putzte ganz gewaltig die Gehörgänge durch und man konnte auch zuhause einfach nicht mehr still sitzen bleiben. Nach diesem Kraftakt verliessen die Musiker die Bühne und ehrten postum, mit vielen Bildern, die Abbot-Brüder. Ruhet in Frieden! Wehmut stieg vermutlich nicht nur in mir hoch aber gleichzeitig wuchs auch die Überzeugung, dass hier genau das Richtige abläuft. Dieser Sound muss gehört werden. Es wäre ein absoluter Jammer, dieses Stück Musik-Geschichte wegen falschem Stolz unter Verschluss zu halten. Während „Suicide Note Pt. I“ nochmals gespielt wurde, machten sich die Illegals wieder warm für die Bühne und um den letzten Akt einzuläuten. Als Anselmo „Walk“ ankündigte, überraschte er noch mit einem „Gastauftritt“. Roman, ein kleiner gehbehinderter Junge wurde auf die Bühne gehievt und blieb dort während des ganzen Tracks in Phil’s Obhut, da er ohne Halt einfach umgekippt wäre. Überzeugend schrie er jeweils die Zeilen „Respect, walk, what did you say? Respect, walk, Are you talkin' to me? Are you talkin' to me?“ gemeinsam mit dem Meister in dessen Mikrofon. „Sandblastet Skin“ beendete schliesslich das Set und während die letzten Töne ausklangen, klatschte Anselmo die vorderen Reihen ab, hintere gab es ja kaum und nutzte die Zeit für einen persönlichen Dank und Händedruck! Ein wirklich gelungener Live-Auftritt der etwas anderen Art und für Pantera ein echter Beweis, dass sie zeitlose Musik geschaffen haben. Einziger Wehrmutstropfen war, dass Rex Brown fehlte und der Höllenritt nicht noch eine Stunde länger dauerte!
„We are the Illegals, we are PANTERA!“
Setliste: «Suicide Note, Pt.1» «A New Level» «Mouth For War» «Becoming» «We‘ll Grind That Axe For A Long Time» «Yesterday Don’t Means Shit» «Fucking Hostile» «War Nerve» «This Love» «I’m Broken» «Strenght Beyond Strenght» «Goddamn Electric/Bilder» «Suicide Note, Pt. 1» «Hellbound» «Domination/Hollow (Final Part)» «Walk» «(Reprise) Sandblasted Skin»