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22. und 23. September 2023, Tennwil (AG)
By Roger W.
Es war eine grandiose, vierzehnte Rocknacht in Tennwil. Die Veranstalter meldeten gar, dass der Freitagabend bisher noch nie so gut besucht gewesen sei. Dazu kamen Bands, die nicht unbedingt zu den Aller-Bekanntesten der Szene gehören, aber für Qualität stehen. Gepaart mit einer äusserst familiären Atmosphäre gibt es wohl mittlerweile so manche Besucher, die vorgängig gar nicht mehr richtig auf das Programm schauen, sondern einfach mal ihre Tickets kaufen, um sich dann vor Ort überraschen zu lassen. Sie wurden auch dieses Jahr nicht enttäuscht.
Freitag, 22. September 2023 (Erster Tag)
Voltage Arc
Die ersten offenen Münder verursachten die jungen Hard Rocker Voltage Arc. Mit voller optischer und musikalischer Wucht stürmten sie die Bühne und sorgten damit bereits für eine Atmosphäre, welche sonst vor allem von jeweiligen Headlinern zu erwarten ist. Das Posing und die Energie erinnerten dabei auf positive Weise an die Australier Airbourne. Voltage Arc sind jung und scheinbar willig, jede Bühne im Sturm zu erobern, egal wie gross oder klein diese ist. Schmunzelnd gaben die Seetaler bekannt, dass sie zuvor über den See geschwommen sind. Ob wahr oder gut erfunden, man nahm es ihnen ab.
Geschickt nutzten sie ihren Heimvorteil aus, in dem sie offensichtlich ihre Freunde und Bekannten an die Rocknacht Tennwil gedrängt hatten. Diese machten derart Stimmung, dass sich sofort auch das Gros der restlichen Anwesenden davon anstecken liess, aber auch ohne diesen lokalen Bonus hätten Voltage Arc überzeugt. Für etwas Ruhe und Schmunzeln im Set sorgte eine Handörgeli-Einlage von Sänger Toni. Dieses Instrument wurde ganz am Schluss nochmals ausgepackt, um den Auftritt mit dem bekannten Mundartlied «Vogellisi» abzuschliessen. Voltage Arc räumten ab und zählten für einige der Anwesenden zum Tageshöhepunkt.
Graywolf
In der Schweiz bekannte Musiker, die eine neue Band präsentieren, garantieren noch lange keinen grossartigen Auftritt. Diese Erfahrung musste man an der Rocknacht Tennwil mit Graywolf machen. Bestehend aus Sänger Kevin Volken von Big Clyde, Gitarrist Julien Menth von Emerald, Ex-Pure Inc-Gitarrist Sandro Pellegrino und Steve Gasser (unter anderem Celtic Frost, Hellhammer und Karma) spielten sie Lieder aus ihrem heuer erschienen, selbstbetitelten Album. Wirkten Voltage Arc zuvor wie eine eingeschworene Einheit, muss diese bei Graywolf erst noch entstehen.
Kommt dazu, dass die Allstargruppe in Tennwil ohne ihren kurz zuvor aus der Band ausgetretenen Bassisten Reto Burell auskommen musste. Für ihn sprang kurzfristig die Mystic Prophecy Bassistin Joey Roxx ein. Das sorgte für weitere Unsicherheit auf der Bühne, aber auch soundmässig klappte nicht alles wie gewünscht. So attestierten einige Zuhörer, welche Graywolf zuvor schon mal live erleben durften, dass die Abmischung nicht optimal gewesen ist. Das war wohl mit ein Grund, wieso dass Liederperlen wie «Hey Man» oder «Get Out Alive» nicht so einschlugen, wie es geplant gewesen ist. Was jetzt vielleicht nach Totalausfall klingt, war es natürlich nicht. So feierten die vorderen Reihen die Band gebührend ab und spendeten ihr den verdienten Applaus. Graywolf-Neulinge wie ich werden der sympathischen Band gerne noch die ein oder andere weitere Live-Chance geben.
King Zebra
Als mein persönliches Tages-Highlight entpuppten sich die Schweizer Hard Rocker King Zebra. Wie Voltage Arc, präsentierten sie sich als mächtig groovende Einheit, wenn auch ein bisschen weniger wild als die Seetaler. Das Quintett hatte sichtlich Freude auf der Bühne. Und diese gute Stimmung übertrug sich dann auch rasch auf das Publikum. Kommt hinzu, dass King Zebra schlicht über grossartige Lieder verfügen und einen Hit wie «Be The Hunter» gar gleich zu Beginn spielen können, ohne dass der Rest danach schwächer ist.
Dazu kommen abwechslungsreiche Lieder von langsam bis schnell, die dem Konzert eine grosse Dynamik schenkten. Besonders toll: Das zähe und unendlich hart rockende «Rush». Mit Ex-China-Sänger Eric St. Michaels verfügen King Zebra zudem nicht nur über eine Stimme mit Welt-Format, sondern auch einen tollen Entertainer, der mit viel Witz und Charme durch das Programm führte. Etwa dann, wenn er «Desperate» allen Musikern ohne Geld widmete oder über den Text von «She Don't Like My Rock'n'Roll» philosophierte. King Zebra kamen, sahen und siegten!
Firewind
Wer sich nach dreimal Rock und Hard Rock nach eingängigem Heavy Metal sehnte, kam bei Firewind auf seine Kosten. Gitarrist und Bandkopf Gus G. spielte von 2009 bis 2017 bei Ozzy Osbourne, ist aber nur auf einem einzigen Album («Scream» von 2010) zu hören. Zum Glück hielt er nebenbei "seine" Firewind am Leben, die er seit seinem Ausstieg beim Madman noch intensiver nach vorne brachte. Die Stimme der Band ist seit 2020 Herbie Langhans. Dieser war im Jahr zuvor in Tennwil mit Radiant zu erleben. Gegründet um 1998 sind Firewind seit dem Ausstieg von Keyboard und Live-Gitarrist Bob Katsionis eine ganz andere Band als zuvor. In Tennwil klangen sie deutlich härter, direkter und trotzdem fantastisch. Zudem, hatte ich auf der kürzlich erschienen Live-CD mit Herbie Langhans' Gesang noch meine liebe Mühe, wurde ich in Tennwil positiv überrascht.
Es macht halt doch einen Unterschied, ob man sich eine Band nur anhört oder eben auch gleich live spielen sieht. Gus G. und seine Band hatten das Publikum vom ersten Augenblick an voll im Griff und spielten sich in einen wahren Rausch. Dabei berücksichtigten sie verschiedene Phasen ihrer langen Band-Geschichte. Die Keyboards ab Band wurden meist dezent zurück gehalten. Das ging allerdings beim Partyhit-Cover «Maniac» nicht. Trotzdem wurde auch dieses Lied abgeleiert, als gäbe es kein Morgen mehr. Ich selber hatte grosse Freude an alten Kanülen wie «Mercenary Man» oder dem abschliessenden «Falling To Peaces». Zuvor gab es noch eine ziemlich spontan wirkende Version von Judas PriestS «Breaking The Law» zu hören, die zusammen mit den Ansagen von Gus G. und Herbie Langhans für weitere Feierlaune sorgten. Firewind lieferten ab – und wie!
Samstag, 23. September 2023 (Zweiter Tag)
Fire Rose
Einen nicht ganz so energisch krassen Start wie am Freitagabend noch Voltage Arc legten die Baselländer Fire Rose hin. Waren die Seetaler wild und ungestüm, wirkten die Gäste aus dem Nachbar-Kanton sehr brav und kontrolliert. Das schadete aber weder der Bühnenpräsenz, noch der Musik. Motiviert präsentierten Fire Rose ihr kurz zuvor erschienenes Album «Blood On Your Hands». Darauf ist zum ersten Mal ihr seit 2016 in der Band singende Frontmann Philipp zu hören. Kannte man ihn früher als Keyboarder und Backing-Sänger von Crown Of Glory, konzentriert er sich nun alleine auf seine Stimme, Und diese spaltete die Meinung der bereits Anwesenden.
Für die einen war das Gehörte toll, für andere eher grenzwertig. Mir selber gefielen Fire Rose bei diesem Auftritt vor allem dann, wenn sie statt auf Power Metal auf Hard Rock setzten. Davon gibt es auf dem neuen Werk vor allem das Lied «Touchdown», das hervorragend zum alten «Devils On High Heels» passte. Anderseits sorgte gerade der Stilmix von Hard Rock und Heavy Metal für viel Abwechslung. Kommt dazu, dass die Baselbieter über wunderbare Gitarren-Melodien verfügen, die neue Lieder à la «Heroes» oder «Fields Of Honor» zu etwas Besonderes machen. Der Applaus zum Schluss war deshalb eindeutig mehr als eine reine Formsache und völlig verdient.
Fallen Sanctuary
"Heute spielen wir in Tennwil unser einziges Konzert in diesem Jahr!", erklärte Fallen Sanctuary Sänger Georg Neuhauser. Er schien sich dabei wie ein kleines Kind darauf zu freuen. Neuhauser ist in Tennwil ein alter Bekannter, trat er hier doch bereits mit seinen beiden weiteren Bands Serenity und War Kings auf. Zwischen den Veranstaltern und ihm besteht mittlerweile eine grosse Freundschaft. Umso schöner also, dass er nun auch mit Fallen Sanctuary im Seetal auftrat, die er in der Folge einer Tournee mit Temperance mit deren Gitarristen Marco Pastorino gegründet hatte.
Vor einem Jahr erschien das erste Album «Terranova», das in Tennwil offensichtlich viele der Anwesenden kannten. Damit funktionierten die Publikums-Chöre schon ab dem ersten Augenblick. Die Lieder verfügen über einen starken Helloween-Einfluss, der ab und zu mit etwas Hard Rock aufgelockert wird. Das sorgte für eine grandiose Stimmung und dafür, dass der Auftritt mit rund einer Dreiviertel-Stunde von den meisten als etwas kurz empfunden wurde. Das ist aber immer noch deutlich besser, als Langeweile zu verbreiten. Fallen Sanctuary wirkten sympathisch und äusserst dankbar.
Stop Stop!
Was für eine Stimmung! Das spanische Sleaze Rock Trio Stop Stop! trat bereits 2016 in Tennwil auf. Heuer legten sie noch eine Schippe drauf. Nach Melodic Power Metal sorgten sie für die grosse Abwechslung und auch für ein wenig Maskerade. Gepaart mit tollen Liedern und hyperaktiven Musikern rissen Stop Stop! das Publikum auf ihre Seite. Zwar wurde der Sinn einiger englischer Ansagen vom Publikum offensichtlich nicht verstanden, aber das tat der Feierlaune keinerlei Abbruch.
Die im United Kingdom beheimateten Spanier spielten sich in einen wahren Rausch und steuerten gekonnt den Höhepunkt ihres Auftrittes an, in dem sie zum Schluss zu dritt (der Schlagzeuger mit einer kleinen Trommel um die Taille gebunden) durchs Publikum hin zum Mischpult und wieder zurück liefen. Dass die Covers «Proud Mary» und «Thunderstruck» deutlich stärkere Lieder sind als die eigenen, war zwar ein kleiner Wermutstropfen, beeinträchtige den positiven Eindruck aber nicht. Sänger und Bassist Jacob verkündete zum Schluss frenetisch: «We are Stop Stop! und we play Rock'n'roll, but you are Rock'n'roll»! Selten stimmte eine Ansage so sehr wie diese.
Jelusick
Als die grossen Pechvögel der vierzehnten Rocknacht Tennwil entpuppten sich Jelusick, benannt nach dessen Sänger Dino Jelusić. Nach einer 14-stündigen Anfahrt erreichten sie Tennwil erst rund 45 Minuten vor ihrem Auftritt. Es geisterten gar die Gerüchte herum, dass sie vielleicht ihren Slot mit Ronnie Romero tauschen würden. Es wäre wohl der bessere Entscheid gewesen, denn das Hauptproblem war die Abmischung im Publikum. So waren die ersten Songs kaum erkennbar, und ein ruhigeres Lied, das der Sänger alleine am Keyboard vortrug, ging gar im schlechten Mix und dem Gequatsche der Nicht-Interessierten komplett unter. Derweil rotierten die Mischer, doch noch einen bescheidenen Sound hinzukriegen. Das gelang dann auch, wobei ich mich bis dann bereits zurückgezogen hatte und den Auftritt nur noch am Rande miterlebte, während die vorderen Reihen das kroatische Gesangstalent und seine Band abfeierten.
Einige hatten den Sänger bereits im vergangenen April im Rockfact in Münchenstein erlebt und schwärmten von diesem Auftritt. Sie bestätigten die nicht idealen Verhältnisse in Tennwil. Trotzdem schimmerte das Talent durch, das der Sänger als permanentes Mitglied des Trans-Siberian Orchestras, als Keyboarder von Whitesnake und als Projektpartner von George Lynch mehrfach unter Beweis gestellt hatte. Das Deep Purple Cover «Burn» war deshalb reine Formsache, gehört es doch auch zum Standardprogramm von Whitesnake. Und auch Ronnie Romero kennt es das Lied durch sein Engagement als Stimme von Rainbow in und auswendig. So sangen Dino und Ronnie diesen Klassiker auch gleich gemeinsam. Gerne hätte ich Jelusick aber in anderer Form erlebt. Viele der Anwesenden störten die Umstände trotzdem nicht, und erklärten den Co-Headliner zu ihrer absoluten Sternstunde der diesjährigen Rocknacht Tennwil.
Ronnie Romero
Dino Jelusick wie Ronnie Romero teilen das Schicksal, dass sie zwar bei verschiedenen, grossen Formationen angestellt sind und da hervorragende Arbeit leiste(te)n, mit ihren eigenen Bands aber bisher nicht annähernd an diese Legenden anschliessen können. Das liegt vor allem am Songwriting, dass den Alltime-Klassikern das Wasser eindeutig nicht reichen kann. In Tennwil offenbarten das beide Auftritte, wobei die Eigenkompositionen der beiden Sänger weit weg von schlecht sind. Ronnie Romero kennt man in der Schweiz vor allem von seinen Auftritten als Steve Lee Tribute-Sänger von CoreLeoni. Dort steht er aber nicht mehr in Brot und Lohn.
Gleich verhält es sich mit Vandenberg, während sein Status bei Michael Schenker unklar ist, und er Rainbow wohl noch immer die Stimme leiht. Ronnie Romeros Auftritt in Tennwil entpuppte sich als sympathische Plauderstunde mit vielen bekannten Songs. So erzählte er etwa: "Als ich zum ersten Mal Lieder von Whitesnake hörte, wusste ich, dass ich Sänger werden will." Mit «Crying In The Rain» folgte ein wichtiger, aber nicht einer der bekanntesten Hits der weissen Schlange. «I've Been Losing You» habe er dagegen für Michael Schenker geschrieben. Da dessen Produzent das Lied aber nicht mochte, landete es auf der aktuellen Ronnie Romero Scheibe «Too Many Lies, Too Many Masters». Auffällig bei diesen eineinhalb Stunden war, dass sein Hauptaugenmerk auf Lieder gerichtet war, welche Ronnie James Dio einst veredelt hatte.
So intonierte Ronnie Romero etwa «Stand Up And Shout» und «Rainbow In The Dark» (beide DIO) oder Neon Knights» (Black Sabbath). Rainbows «Kill The King» bezeichnete er zudem als den Song, den er auf eine einsame Insel mitnehmen würde. Und mit diesem beendete Ronnie Romero seinen Auftritt, der vom Publikum zwar abgefeiert wurde, aber dennoch einen Wermutstropfen beinhaltete. Es wurde nämlich lautstark ein altes Lied von Gotthard gefordert, und dieses hätte die Stimmung noch weiter zum Kochen gebracht. Dieser Wunsch blieb leider unerfüllt. Trotzdem waren am Schluss alle mehr als zufrieden, denn in Sachen Stimme und Entertainment gehört Ronnie Romero tatsächlich zu den ganz Grossen.