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Wenn ein so alter Rock-Dinosaurier wie Jethro Tull ein neues Studio-Album veröffentlicht, schaut, respektive hört man etwas genauer hin. Im Wissen darum, dass sich Mainman Ian Anderson ja längst nichts mehr beweisen muss, birgt dies die latente Gefahr eines musikalischen Gnadenbrots. Sowas vermag das Fundament des Karriere-Sockels zu schwächen, muss es aber nicht zwingend.
Jedes Kind kennt wohl den einzigen Gross-Hit «Locomotive Breath», der das vierte Album «Aqualung» (1971) in den Staaten zu sattem Dreifach-Platin führte. Meine frühe Begegnung mit Jethro Tull geht interessanterweise zurück auf den Vorgänger «Benefit» (1970), der sich unter anderem neben Deep Purples Monstrum «In Rock» in Vaters Plattensammlung fand. Obwohl mich danach vor allem das geniale Opus «Thick As A Brick» (1972) nachhaltig faszinierte und es bis heute tut, machten bekanntlich Ian Gillan & Co. das Rennen um meine Gunst. Nichtsdestotrotz blieb der andere Ian mit seiner Mannschaft über die Jahrzehnte auf dem Radar, und gegen Ende der 80er sah ich JT auch mal im Hallenstadion. Dies ist schon eine ganze Weile her, was auch für das 20. Studio-Album «J-Tull Dot Com» (1999) als Vorgänger gilt. Die dazwischen releaste Weihnachtsscheibe «The Jethro Tull Christmas Album» (2003) blenden wir an dieser Stelle geflissentlich aus und wenden uns postwendend «The Zealot Gene» zu. Der Opener «Mrs. Tibbets» empfängt einen zu Beginn lieblich luftig leicht mit den ersten Querflötenklängen des Meisters, ehe sich anschliessend ein leider zu dominanter Synthie ausbreitet und die rockigen Vibes, bis auf ein paar prägnante E-Guitar Momente von Joe Parrish, eher in den Hintergrund drängt. Irgendwie schade und unnötig zugleich.
«Jacob's Tales» greift derweil die typischen Folk-Roots mit Akustik-Gitarre, Mandoline und Mundharmonika auf, während «Mine Is The Mountain» mit arg angezogener Handbremse den klassischen Tull-Sound verinnerlicht. Etwas flotter kommt anschliessend der Titeltrack in die Gänge, mit Betonung auf "etwas". Besser mundet «Shoshana Sleeping», wo zumindest die Rhythmik das legendäre Querflötenspiel ins richtige Licht rückt. Allerdings wird spätestens nach dem fluffigen «Sad City Sisters» und weiteren typischen Folk-Elementen gewahr, dass das aktuelle Werk nicht zur hart rockenden Zunft im Backkatalog der britischen Rock-Ikone gezählt werden kann. Manch einer lässt an dieser Stelle die schmerzliche Vakanz von Ex-Gitarrist Martin Barre anklingen, was sich zwangsläufig auf den Sound insgesamt auswirkt. Auf der anderen Seite muss erwähnt werden, dass Ian Anderson mittlerweile auch bald 75 Jahre alt ist und die wilden Jahre längst verblasst sind. Was übrig bleibt, ist musikalisch solide, aber ohne Ecken und Kanten. Da sind zum Beispiel Magnum doch noch einiges agiler unterwegs. Immerhin steht die stilbildende Querflöte auf «The Zealot Gene» mehrheitlich im Einsatz und wird so wenigstens die Altfans sicherlich milde stimmen. Nice to have, mehr aber nicht, da keiner der Songs songwriterische Akzente über der Mittellinie hinterlässt.
Rockslave