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Ein etablierter Name in der Prog-Sparte, Pioniere des Musik-Crowdfundings und seit Kurzem auch noch Pioniere der DIY Konzertversicherung. Die 1979 gegründete Band schafft es immer wieder sich neu zu erfinden, aber gleichzeitig sich selbst treu zu bleiben. Paradoxon? Nein, Marillion.
Seit Februar 1989 mit Ausnahmesänger- und Songwriter Steve Hogarth an der Front übertraf sich die Band immer wieder selber. Ganz besonders nach «F E A R» aus dem Jahr 2016 war ich sehr gespannt auf die neue Scheibe. "Unmöglich zu toppen" ist ein Gedanke, welcher mir schon damals beim ersten Anhören durch den Kopf ging. An diesem Statement hänge ich zwar irgendwie weiterhin, wenn auch nicht mehr ganz so stur. «An Hour Before It's Dark» ist das neue Baby aus dem Hause Marillion. Was das wohl wird frage ich mich, während ich das Album vorbestelle - ohne den Titel oder das Artwork zu kennen. Normal bei dieser Band. Man vertraut darauf, dies ist eine andere Welt. Selbstverständlich mal wieder ein Goodie für die Early Birds, denn wer bis zu einem gewissen Datum vorbestellt, kriegt den Namen aufs Cover gedruckt. Nicht das erste Mal dass sie es so machen, aber trotzdem nett. Es wundert es mich, ob es «F E A R» getoppt werden kann oder zumindest daran heran reicht, als ich meinen Namen eintöggele und mich freue, diese Band unterstützen zu dürfen. Wie mein Vater damals, als sie das allererste Mal dieses Crowdfunding-Ding machten.
Lustigerweise schaffe ich es, meine Erwartungen herunter zu schrauben, worüber ich mich im Nachhinein freue. Wer sich ein paar Alben dieser Legende angehört hat und ein wenig etwas von Musik versteht, weiss, dass sie es wieder schaffen müssen. Es ist ein in der Pandemie geschriebenes Album, also kann man wohl die eine oder andere Referenz erwarten. «An Hour Before It's Dark» – Dies kann so vieles heissen. Der erste Eindruck (auch bestätigt) ist eindeutig das Thema Klimawandel. Überrascht es? Nein, denn Steve Hogarth ist ein Künstler, welcher gerne das weltliche Geschehen in Songs verarbeitet und sich auch nicht davor scheut, seine politische Meinung zu äussern. Auch wenn ihm andere Themen ebenfalls liegen und ich ihn lieber über anderes als Berichte aus den News singen höre. Ist aber natürlich subjektiv. Der Albumtitel, wie auch einer der Untertitel des Openers «Be Hard On Yourself», kann aber auf viele andere Arten interpretiert werden. Geht es um den Tod oder die letzte Stunde, bevor man als Kind nach Hause muss, weil es dunkel wird? Interpretationsspielraum ist was Schönes, und mir gefällt der Gedanke, dass man den Song trotz beinaher Eindeutigkeit auf so viel anderes beziehen könnte.
Mit dem zweiten Track und auch der zweiten Singleauskopplung «Murder Machines» bewegt sich Hogarth mal wieder zwischen Interpretationen, doch so manche Textpassage bezieht sich unmissverständlich auf die Pandemie, dass es fast schon schmerzhaft ist. Der Ton für das gesamte Album ist aber eindeutig gegeben. Wenn man sich weiterhin die gekonnt geschriebenen Texte Hogarths anhört, merkt man, dass das gekonnte Social Media Teasing der Bandmangerin, das Album sei noch besser als der Vorgänger, eine berechtigte Meinung ist. Wie auf dem 2016er Album sind auch diesmal fast alle Songs unterteilt und sozialkritische Themen kommen auf. Mörderische Maschinen, Genreprogrammierung, man merkt, wodurch das Album inspiriert wurde. Thematisch wie auch textlich kommt «A H B I D» (für mich persönlich) nicht an «F E A R» heran. Dass ich mich mit dieser Aussage möglicherweise unbeliebt mache, ist aber in Ordnung. Jeder hat nun mal seine Präferenzen, und ich vermerke dies wohl wissend, dass wir uns in den höchsten Sphären bewegen. Ist es überhaupt angebracht, diese Alben miteinander zu vergleichen? Eigentlich nicht.
Ganz ehrlich, diese Band kann man nicht einfach in eine Schublade stecken, zu oft wurde uns bewiesen, dass es sich um Virtuosen eines komplett anderen Levels handelt. Sagen wir also, dass diese beiden Alben (wie übrigens fast alle vorherigen Marillion-Alben) auf ihre ganz eigene Art und Weise ein absoluter Überflieger sind und sowohl Fans, als auch neue Zuhörer:innen mühelos überzeugen dürften. Nebst Texten wie sie kaum sonst jemand schreiben kann und der markanten Stimme des als "h" bekannten Sängers, welcher sich gesanglich in absoluter Topform befindet, haben wir es mal wieder mit erstklassigen Kompositionen zu tun. Viele Leute verbinden Marillion automatisch mit dem Gitarrengott Steve Rothery. Absolut berechtigt, denn mühelos brilliert er abermals und verzaubert mit Hilfe beinahe hypnotischer, aber auch anregender Performance auf der Sechssaiten. Ganz besonders beim letzten Song «Care» kann ich nichts anderes tun als dahin zu schmelzen – mein persönliches Highlight auf diesem Silberling. Vielleicht muss an dieser Stelle trotzdem etwas Kritik geäussert werden.
Der Instrumentaltrack «Only A Kiss» dürfte eindeutig länger sein. Kann sein, dass ich mit meiner Meinung alleine dastehe, aber Mr. Rothery hätte da noch ordentlich ausbauen und eine richtige Gitarrenorgie daraus machen können. Doch während er trotz dieser kleinen Unannehmlichkeit wie eh und je heraus sticht, ist es wunderschön anzuhören, dass sich die weiteren Herren selber toppen konnten. Starkes Spiel (wie immer) von Tastenguru Mark Kelly, welches besonders beim Opener zur Geltung kommt. Schlagzeuger Ian Mosley beweist sich einmal mehr mit seinen Beats, und diese hören sich so mühelos an, dass es unwahrscheinlich scheint. Dieses Album könnte endlich dasjenige sein, auf welchem er mal der geheime Star ist. Pete Trevawas am Bass kriegt ebenfalls seine starken und sehr hörbaren Momente, die stark durch die perfekt gemixte Struktur hindurch scheinen. Aufgenommen wurde das Album in Isolation. Jeder in (s)einem Raum, quasi von der Aussenwelt abgeschottet. Wie man so hört, war dies ziemlich merkwürdig und teils auch von einigen privaten Zwischenfällen begleitet.
Die Aufnahmen auf eine solch ungewohnte Weise abzuschliessen, ist wohl auch in die allgemeine Stimmung eingeflossen, abgesehen vom Geschehen auf der ganzen Welt. Doch das Endresultat ist mal wieder umwerfend und beweist, dass man nie zu alt ist Musik zu machen, denn auf die Leidenschaft kommt es an. Trotz ungewohnter Umstände kann Unglaubliches geleistet werden, und wenn man es mit viel Liebe tut, ist dieses Album ein tolles Beispiel dafür. Musikalisch gesehen kann ich mich der Meinung anschliessen, dass dies das bisher beste Marillion-Album sein könnte. Wobei ich mich da nicht festlegen möchte, denn, ich wiederhole mich gerne, ist jedes einzelne ihrer Alben auf die eine oder andere Art und Weise ein Überflieger. Fazit? Auf einen Vergleich mit den Vorgängern verzichte ich bewusst und halte einfach daran fest, dass es sich bei «An Hour Before It's Dark» um eines der ausdrucksstärkeren Alben der Band handelt. Die Kaufempfehlung hierzu ist deshalb selbstverständlich.
Mona